In der Frühjahrssession stimmt der Berner Grossrat über die Finanzierung des Modellversuchs für die spezialisierte mobile Palliativversorgung ab. Sie ermöglicht Menschen, am Lebensende zuhause zu bleiben, indem sie Hospitalisationen vermeidbar macht. Menschliches Leid lindern und Gesundheitskosten sparen sind die zentralen Argumente für diese Investition.
Der Patient wird unruhig. Erst vor zwei Tagen ist er nach einem längeren Spitalaufenthalt wegen seiner fortgeschrittenen Krebserkrankung nach Hause entlassen worden. Er ist froh, endlich wieder in seiner vertrauten Umgebung zu sein. Doch nun nehmen die Schmerzen erneut zu. Sorgen bereitet ihm, dass seine Verdauung wegen der opiathaltigen Medikamente träge wird. Übelkeit kommt auf, er muss erbrechen, kann die Medikamente nicht mehr einnehmen. In der Nacht gerät er in Panik, seine Frau ruft die Ambulanz und begleitet ihn zurück ins Spital.
Ambulante Grundversorgung am Limit
Palliative Patientinnen und Patienten sind Menschen mit unheilbaren, lebensbedrohlichen oder chronisch fortschreitenden Krankheiten, so definiert es das Bundesamt für Gesundheit BAG. Die Komplexität ihrer Krankheit überfordert die ambulante Grundversorgung insbesondere, wenn sich ihr Zustand immer wieder so stark verschlechtert, dass ein Aufenthalt im Spital notwendig wird, sie dort jedoch nur behandelt werden, bis sich ihr Zustand gerade ausreichend verbessert, um eine Entlassung zu rechtfertigen.
Im Gesundheitswesen will man stationäre Behandlungen wegen ihrer hohen Kosten möglichst vermeiden oder, soweit es geht, begrenzen. Die im letzten Lebensjahr eines Menschen anfallenden Krankheitskosten sind besonders hoch. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass eine spezialisierte palliative Versorgung zu Hause diese Kosten erheblich senken kann. Eine kürzlich publizierte Studie schätzt die Kosteneinsparungen auf 81.5 Millionen Franken für die gesamte Schweiz.
Berner Modellversuch mit mobilen Palliativdiensten
Im Kanton Bern will man einen dreijährigen Modellversuch mit mobilen Palliativdiensten starten. Sie setzen sich aus ärztlichen und pflegerischen Fachpersonen zusammen, die mit Fachkräften aus dem psychosozialen Bereich kooperieren. Eingebunden sind mindestens ein Spital mit Leistungsauftrag für spezialisierte Palliative Care und ein Leistungserbringer für Hilfe und Pflege zu Hause, der spezialisierte Palliative Care anbietet. Die Teams unterstützen primär Fachpersonen der Grundversorgung. Erst in zweiter Linie arbeiten sie direkt mit den Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen.
Die Aufgabe der Teams ist, die Übergänge zwischen Spital und zu Hause wie auch die ambulante Versorgung zu verbessern: indem zum einen die Akteure beider Bereiche vernetzt werden und rund um die Uhr ärztliche und pflegerische Beratung gewährleistet ist. Zum anderen gilt es, kritische Situationen vorausschauend zu planen, Notfallpläne zu erstellen und Medikamente in Reserve mit Anweisungen für die Einnahme abzugeben. Im Fall des erwähnten Krebspatienten wäre eine Fachperson des mobilen Palliativdienstes vorbeigekommen und hätte ihm opiathaltige Medikamente injiziert, weil eine orale Einnahme nicht mehr möglich gewesen wäre. Die Schmerzen wären abgeklungen und der Patient hätte wieder Vertrauen in seine Versorgung gefasst. Die kräftezehrende nächtliche Notfalleinweisung wäre vermieden worden.
Zwar gibt es bereits mobile Palliativdienste im Kanton Bern, sie sind aber nur punktuell tätig und oftmals unterfinanziert. Im Berner Jura ist in Zusammenarbeit mit Neuenburg und Solothurn ein solcher Dienst tätig und auch in Thun haben Fachkräfte mit viel Engagement ein Netzwerk aufgebaut. Der Modellversuch des Kantons hat zum Ziel, flächendeckend allen Menschen in Bern eine solche Versorgung anzubieten. Dazu muss der Grossrat einen Kredit in Höhe von knapp 11 Millionen Franken bewilligen. Sie sind im Kantonsbudget bereits eingestellt.
Argumente für den Kredit
Der Ball liegt also beim Grossrat. Folgt er den Empfehlungen des Regierungsrats und der grossrätlichen Gesundheits- und Sozialkommission (GSoK), welche die Zustimmung zum Kredit einstimmig befürwortet, kann der Modellversuch voraussichtlich im Sommer 2019 starten. Fällt die Evaluation nach der dreijährigen Laufzeit positiv aus, sollen die mobilen Palliativdienste in die reguläre spezialisierte Versorgung überführt werden.
Die wichtigsten Argumente für den Modellversuch sind verringertes menschliches Leiden und Kosteneinsparungen durch vermiedene Hospitalisationen, da die schwerkranken Menschen zu Hause behandelt werden können. Sie stehen etwaigen Bedenken entgegen, dass durch den mobilen Palliativdienst zusätzliche Kosten entstehen.
Der Modellversuch würde ausserdem helfen, die palliative Unterversorgung in Alters-, Pflege- und Behindertenheimen anzugehen. Langzeiteinrichtungen sind häufig personell unterversorgt und das Personal nicht für spezialisierte Palliative Care ausgebildet. Bewohnerinnen und Bewohner mit komplexen unheilbaren Erkrankungen können in Krisensituationen von den dortigen Fachpersonen nicht behandelt werden und müssen hospitalisiert werden. Im Kanton Bern gibt es bislang weder ein Hospiz noch eine entsprechend spezialisierte Langzeiteinrichtung. Daher bleibt im Notfall nur das Spital. Aber auch für diese Menschen sind am Lebensende Übertritte zwischen Spital und Heim weder förderlich noch sinnvoll.
Kontakt:
Links und weiterführende Literatur:
- Maessen, M., Steck, N,. Zwahlen, M. & Eychmüller, S. (2019). Potenzielle ökonomische Auswirkungen von mobilen Palliativdiensten in der Schweiz. Bundesamt für Gesundheit BAG, Bern
- Plattform Palliative Care (2019: Einsparpotenzial von mobilen Palliativdiensten
- Spezialisierte mobile Palliativdienste: Kommission unterstützt Kredit für dreijährigen Modellversuch. Pressemitteilung vom 12. Februar 2019 – Medienmitteilung des Kantons Bern, Grosser Rat.
1 Kommentare
Peter Stich
Und was geschieht in Zürich ?!
Keinerlei Amstrengungen auf diesem Gebiet.