«Danke, dass Sie weiterhin Abstand halten.»

von Beatrice Kaufmann und Arne Scheuermann

Zur visuellen Kommunikation des Schweizerischen Bundesamts für Gesundheit BAG (Teil 3)

Im dritten Teil unserer Serie über die Kommunikationskampagne des BAG fragen wir nach den Varianten der Aufmerksamkeitserzeugung. Wie bleibt sich eine Kampagne visuell treu, die zunehmend weitere Themen aufgreifen muss? (Den ersten Teil vom Frühjahr 2020 finden Sie hier, den zweiten vom Herbst 2020 hier.)

Sprechen wir über Corporate Design 

Seit 14 Monaten nun schon begleitet die Informationskampagne von Rod Kommunikation für das Schweizerische Bundesamt für Gesundheit BAG die Corona-Pandemie der Schweiz. Angefangen von den Warnungen vor dem ersten Lock-Down im März 2020 über die Lockerungen im Sommer bis zur zweiten Welle im Winter 2020/21 und dem Beginn der Impfkampagne zum Jahresbeginn, bildet das visuelle Erscheinungsbild der mit 22 Mio. Franken Gesamtkosten bislang teuersten Gesundheitskampagne der Schweiz mittlerweile eine wohlbekannte Begleitung im Alltag der Schweizer*innen (Abb. 1). Kein Wunder, dass man ihr einjähriges Bestehen Anfang März dann auch mit einer Beitragsreihe im Schweizer Radio SRF3 würdigt.

Abbildung 1: Die BAG-Corona-Kampagne informiert die Schweizer Bevölkerung seit Beginn der Pandemie (Quelle: BAG)

Die Grundelemente – die Ampelfarben, die Piktogramme, der Check-Haken, die Typographie – flankieren während dieses Jahres auch kleinere Subkampagnen und Varianten wie die Fotokampagne zur Sommersaison (Abb. 2), die illustrative Kampagne  «Mach’s einfach!» im Herbst, die sich an Jugendliche richtet (Abb. 3), sowie die aktuelle Impfkampagne (Abb. 4). Das gemeinsame Erscheinungsbild wird durch die jeweiligen Störer in Gelb («So schützen wir uns.» nebst Variationen) und einer wiederkehrende Absenderleiste mit dem Logo des BAG gerahmt.

Abbildungen 2–4: Teilkampagnen der Corona-Kampagne des BAG (Quelle: BAG)

Gleichzeitig sind diese Grundelemente auf etlichen Bodenklebern, Schildern und Aushängen in Behörden, Schulen, Ladengeschäften, Sporteinrichtungen oder Restaurants zu finden (Abb. 5), was sicherlich auch daran liegen mag, dass auf der BAG-Webseite die meisten Elemente der Kampagne zum Download zur Verfügung gestellt werden.

Abbildung 5: Informationsscreen im Einkaufszentrum Wankdorf (10.03.2021)

Man kann sagen, die Kampagne des BAG hat sich als «Standard-Variante» zur Signaletik und Information durchgesetzt – und auch die zahlreichen Hommagen und Parodien der Kampagne erfreuen sich nach wie vor grosser Beliebtheit (Abb. 6).

Abbildung 6: Parodistische Verwendung der BAG-Kampagne (Quelle: Facebook, 03.06.2020)

Neben diesen – dem rhetorischen Logos zuzuordnenden – sehr sachlichen, visuellen Elementen der Infografik, treten verstärkt Elemente des Ethos – also der Stilebene der mittleren Wirkstärke, welche vor allem auf den Charakter der/des Absender*in und der Adressat*innen hinweist. Logos und Ethos lassen sich hier als zwei unterschiedliche Gestaltungsprinzipien verstehen. Im Logos überwiegen die sachlichen, informativen Mittel: Es geht um die schnelle und klare Vermittlung in der Sache, etwa durch reduzierte Piktogramme und kurze Merksätze. Im Ethos kommen Gestaltungsmittel zum Einsatz, die Sympathie erzeugen und Glaubwürdigkeit auf der Ebene des Charakters, etwa durch humorvolle Headlines und narrative Illustrationen, die eine emotionale Verbindung mit dem Gezeigten ermöglichen. 

Dabei fallen vor allem zwei zentrale Erweiterungen auf, die das Corporate Design der Kampagne erweitern: pastellfarbenfrohe Illustrationen und das Herz der Impfkampagne. Diese Ergänzungen der Kampagnenelemente hängen unmittelbar mit der Entwicklung der Pandemie zusammen. Mittlerweile sind den Menschen die Gefahren und der Umgang mit ihnen bewusst. Nun gilt es, sie auch emotional bei der Sache zu halten und von der Wichtigkeit sowohl des Durchhaltens als auch des Impfens zu überzeugen.

Mit narrativen Illustrationen zum richtigen Verhalten bewegen

Offizielle Informationen und Weisungen | PH Freiburg
Abbildung 7: Sujet der aktuellen Teilkampagne «Bitte bleiben Sie vorsichtig.», die Anfang März 2021 startete (Quelle: BAG)

Die Teilkampagne «Bitte bleiben Sie vorsichtig.», die diesen Frühling startete, enthält weiterhin die für die Kampagnenidentität wichtigen Grundelemente (Slogan mit Haken, Absenderleiste). Die Farbigkeit mit zurückhaltenden Pastelltönen unterscheidet sich aber grundlegend von der Informationskampagne in den eher kräftigen Warnfarben, und es wird klar, dass es sich hier um eine andere Art der Information handelt, die narrativer und weniger eindeutig kommuniziert werden soll. Die Grundelemente in reinem Druckgelb fallen auch deshalb umso mehr auf – sie ordnen die Plakate auf diese Weise klar in die Ausgangskampagne ein. Bei den Illustrationen wird auf den gleichen Stil wie bei der «Mach’s einfach!»-Teilkampagne (Abb. 3) zurückgegriffen, was einerseits eine gewisse Wiedererkennbarkeit garantiert, andererseits aber verwirren kann, da sich die neuen Plakate nicht mehr primär an die Zielgruppe der Jugendlichen richten wie noch die Kampagne im Herbst. Die cartoonartigen Zeichnungen vermitteln die Botschaft mit einem wohltuenden Augenzwinkern, das nach der visuellen Ernsthaftigkeit der ursprünglichen Informationskampagne guttut. 

Auf dem Weg, den die Schweiz bisher im Umgang mit der Pandemie gegangen ist, ist die Betonung der individuellen Freiheit ein wichtiges Element. Die Slogans (z. B. «Danke, dass Sie weiterhin Abstand halten.») haben daher keinen auffordernden Befehlscharakter, sondern appellieren an die gesellschaftliche Solidarität. Gleichzeitig betonen sie die Freiwilligkeit vieler Massnahmen. Die Plakatserie liest sich in diesem Kontext als eine Art «Dankeschön» des Bundesamts an die Bevölkerung.

Ein Herz für die Corona-Impfung

Mit dem Beginn der Schweizer Impfkampagne ab Januar 2021 werden die Störer um den entsprechenden Slogan und ein herzförmiges Pflaster erweitert (Abb. 4). Dieses Logo ist aus verschiedenen Bestandteilen zusammengesetzt und zeigt ein Heftpflaster in der Form eines Herzens mit einem grünen Haken (Abb. 8). 

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Abbildung 8: Bildmarke der aktuellen BAG-Impfkampagne (Quelle: BAG)

Das Herz im Zentrum grösserer Informationskampagnen ist eigentlich ein Kind der 1970er Jahre: Milton Glaser entwirft das heute ikonische Logo «I love NY» 1975, zwei Jahre später startet die Stadt New York mit ihm seine landesweite Kampagne (Abb. 9). 

I Love New York (Werbekampagne) – Wikipedia
Abbildung 9: Das «I love NY»-Logo von Milton Glaser für die Stadt New York.

In Deutschland ist vielen vor allem die von der BILD-Zeitung 1979 ins Leben gerufene Kampagne «Ein Herz für Kinder» ein fester visueller Begriff (Abb. 10). 

Ein Herz für Kinder – Wikipedia
Abbildung 10: Die «Ein Herz für Kinder»-Kampagne der BILD-Zeitung in Deutschland

Die visuelle Metapher ist in beiden Fällen einfach zu verstehen: Das Herz als Liebes- und Gesundheitssymbol steht hierbei allgemein für affirmative Zuneigung und Hinwendung. Die Kombination der markanten Herzform mit der Materialität eines kleinen Pflasters, wie man es bspw. nach der Blutentnahme oder nach einer Impfung bekommt, betont wiederum die gesundheitsbezogene Aussage und den Anlass der Logoneuschöpfung.

Das Pflaster steht hierbei für einen begonnenen Heilprozess, wie der Vergleich mit ähnlichen Motiven zeigt. Der aus den Informationsgrafiken bereits bekannte grüne Haken bildet dann (neben der Schrift) schliesslich die Brücke zur bisherigen Kampagne (Abb. 1). Die Form-, »Material«- und Farbwahl des Logos spricht auf allen drei Ebenen eine positive, bejahende Haltung an und fügt sich damit perfekt in die Reihe der durch die Illustrationen vorgegebenen Grundstimmung. 

Die Impfkampagne ist eine grosse Herausforderung, da es das Schweizer Arzneimittelgesetz verbietet, das Impfen generell, geschweige denn einen Impfstoff zu bewerben. Die Kampagne darf also nur informieren. Die Impfkampagne sollte daher idealerweise didaktisch feinfühlig sein und die Bevölkerung befähigen, sich selbst eine differenzierte Meinung zu bilden, wie David Schärer von der Agentur Rod in einem Artikel zu den angelaufenen Impfkampagnen von Bund und Kanton Bern in der Zeitung «Der Bund» hervorhebt [1]. In einer ersten Runde soll hierfür durch Testimonials von Gesundheitspersonal Vertrauen geschaffen werden. Ab Mitte Mai 2021 dann soll die Kampagne populärer und emotionaler werden.

Dabeibleiben und nachhaken

So wie die Pandemie selbst mit ihren Auswirkungen und Rahmenbedingungen mehr und mehr Lebensbereiche im Alltag mitbestimmt, verbreitert sich die Kampagne des BAG zunehmend und nimmt neue Aspekte und Botschaften auch visuell vielseitig auf. Dabei können sich diese Varianten auf die solide Grundlage der «Kernkampagne» abstützen. 

Hier treten jedoch auch Zielkonflikte auf, die sich nicht vermeiden lassen, sondern gestalterisch in Kauf genommen und gelöst werden müssen. So wird beispielsweise für eine homogene Erscheinung in Kauf genommen, dass sich Illustrationen, die sich zuerst an Jugendliche wenden, nun auch an alle anderen wenden. Das richtige Mass zwischen dem Bewährten (der bekannten Kampagne) und dem Neuen (dem Aktuellen, dem Auffallenden) wird hierbei mit jeder neuen Variante der Kampagne neu ausgelotet. Je mehr Elemente ein Sujet beinhaltet (oder beinhalten muss), desto schwieriger ist zudem, eine plakative Reduziertheit zu erreichen.

Es wird spannend sein, zu beobachten, wie die klassische Plakatkampagne zukünftig vermehrt auch andere Kanäle nutzen wird, um diese Zielkonflikte zu handhaben. Wie bspw. wird man mit «Impfluencer*innen» die Jungen ansprechen? Und auch bleibt offen: Wie wird der weitere Verlauf der Pandemie gestalterisch begleitet?


Anmerkungen:

[1] Artikel im «Bund» vom 10.05.2021: https://www.derbund.ch/wir-koennen-viel-kaputtmachen-478392830783

(Bildrechte bei den Autor*innen, Ausnahmen sind vermerkt.)


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Arne Scheuermann

Prof. Dr. Arne Scheuermann is the head of the Institute of Design Research at the Bern University of the Arts (HKB); he is a co-founder of the research group Health Care Communication Design HCCD, and chairman of the Board of Directors of the Swiss Center for Design and Health (SCDH).

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