Wenn der Apéro mit der Post kommt – Partizipation in Zeiten der Pandemie

Prozessplanung für eine digitale Mitwirkungskonferenz

Partizipative Ansätze generieren in vielen Forschungs- und Entwicklungsprojekten einen Mehrwert, da durch aktive Teilhabe von Betroffenen im Prozess mehr Rücksicht auf deren Bedürfnisse genommen werden kann. Gerade in der Arbeit mit besonders vulnerablen Zielgruppen (bspw. Kinder, Senior*innen, Menschen mit Migrationshintergrund, kognitiv eingeschränkte Personen…) sind diese Methoden beliebt. Durch die Pandemie wurden aber viele partizipative Arbeitsweisen blockiert oder verunmöglicht. Dies betrifft u.a. die Quartierarbeit, Stadtentwicklungsprozesse, aber auch Forschungsprojekte im sozial- und geisteswissenschaftlichen Kontext oder im Gesundheitsbereich. Durch die Pandemie wurde es jäh unmöglich, in vielen laufenden oder geplanten Projekten partizipative Elemente in herkömmlicher Form durchzuführen. Auch Projekte der Arbeitsgruppe HCCD waren davon betroffen. Die Projektteams standen – und stehen – vor der Herausforderung, wie sich Teilhabe umsetzen lässt, wenn die Fallzahlen hoch und die Planungssicherheit tief ist. Hier sind kreative Ansätze gefragt, wenn die Mitwirkung von Betroffenen bei wichtigen Prozessen und Projekten nicht auf unbestimmte Zeit verschoben werden soll. Die Agentur ProjektForum hat hier in den letzten Monaten innovative Ansätze ausprobiert. Projektleiterin Delia Imboden spricht im Interview über ihre Erfahrungen und Möglichkeiten bei der Umsetzung von partizipativen Methoden trotz Corona und Schutzmassnahmen. 

HCCD: Delia Imboden, bitte beschreibe kurz, was ihr bei ProjektForum macht und wie ihr arbeitet.

Delia Imboden: Wir sind eine Agentur, die sich für gesellschaftspolitische Themen stark macht. Unsere Kund*innen sind sehr divers und kommen aus verschiedenen Bereichen wie beispielsweise aus der Kulturbranche, der öffentlichen Verwaltung, aus Vereinen und NGOs. Ebenso bunt sind auch die Themen, mit denen wir uns beschäftigen: öffentliche Neubauten, Finanzkompetenz für Kinder und Jugendliche, Quartierentwicklung, Alter und Inklusion, Nachhaltigkeit (Ernährung und auch Verkehr), um nur einige zu nennen. Ziel ist dabei für uns auch immer der Miteinbezug von verschiedenen Dialoggruppen – kurz Partizipation, weil jeder Mensch, der eine Veränderung mitbestimmt, diese auch aktiv mitträgt. Bei ProjektForum begleiten wir neben Moderationen und Veranstaltungsmanagment hauptsächlich partizipative Prozesse – von der Erstberatung über die Konzeption, Methodik und Moderation bis hin zur Dokumentation.

HCCD: Welchen Stellenwert haben partizipative Methoden in eurem Arbeitsalltag?

Delia Imboden: Partizipation ist bei uns Programm und steht im Mittelpunkt unserer Arbeit, sei es bei Kund*innen oder auch teamintern, wo wir gerade mitten in einem Soziokratie-Prozess stecken, in dem es darum geht, die Verantwortung in unserer Firma noch breiter und auch neu zu verteilen. Auch bei unseren Kund*innen sehen wir, dass Partizipation nicht nur sehr gefragt ist, weil sie lokales Wissen miteinbezieht und so hilft, die besten Lösungen vor Ort zu finden, sondern auch, weil Partizipation gute Resultate bringt. Der Ansatz fördert Vertrauen, Akzeptanz und auch Identifikation und Eigeninitiative und ist so schliesslich ein wichtiger Baustein für soziale Nachhaltigkeit. Gleichzeitig können damit auf lange Sicht auch Folgekosten eingespart werden, was ein weiterer Pluspunkt ist.

HCCD: Wie hat sich durch die Pandemie diese Arbeit verändert?

Delia Imboden: Das Jahr 2020 hat in aller Deutlichkeit gezeigt, dass Partizipation in unserer Gesellschaft weder selbstverständlich noch krisensicher ist. Das Arbeitsumfeld ist sicher schwieriger, aber auch spannender geworden. Was ist zurzeit möglich? In welcher Form und mit wie vielen Teilnehmer*innen? Diese und viele andere Fragen haben uns im letzten Jahr sehr oft begleitet. Gleichzeitig war für uns klar: wichtige gesellschaftliche Prozesse sollen nicht auf unbestimmte Zeit verschoben werden und wir müssen unsere Zukunft weiterhin gemeinsam gestalten können. Daher haben wir unsere partizipativen Prozesse vermehrt mit neuen, digitalen Methoden, Formaten und Instrumenten ergänzt. Da haben wir in den letzten 1.5 Jahren enorm viel dazu gelernt und konnten auch gemeinsam mit unseren Kund*innen wachsen. 

Hybrides Workshopsetting, bei dem Kund*in und ProjektForum vor Ort sind, die Teilnehmer*innen aber von zuhause aus mitmachen.

HCCD: Kannst du konkrete Beispiele nennen, wie ihr das angepackt habt?

Delia Imboden: In verschiedenen Mandaten haben und mussten wir während der Pandemie, was die Umsetzung von Partizipation angeht, bedürfnis- und dialoggruppenorientiert verschiedene Strategien anwenden. Wir arbeiten auch unter normalen Bedingungen immer bedürfnis- und dialoggruppenorientiert und erarbeiten gemeinsam mit unseren Kund*innen massgeschneiderte Lösung. Doch im Rahmen der Pandemie wurde ein solches Vorgehen zusätzlich wichtig, da wir einerseits die aktuellen Regeln des Bundesrates in die Planung der Prozesse einbinden, gleichzeitig auch flexibel sein mussten und Partizipation weiterhin möglich machen wollten. Ein Beispiel sind die Labor-Treffen der Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Bundes: Diese haben das Ziel, den Austausch- und die Vernetzung zwischen verschiedenen Projektträger*innen zu fördern – natürlich ein heikles Vorhaben während der Pandemie, aber auch umso wichtiger, dass sich solche Projektträger*innen weiterhin austauschen können und Plattformen dazu haben. Daher haben wir für diese Treffen die analogen Grundlagen wie Drehbuch, Methodik, Technik und Moderation an das neue digitale Setting angepasst. Für ein anderes Mandat der Berner Fachhochschule und des Gesundheitsdepartements Kanton Basel-Stadt, welches sich um die Erarbeitung von Ernährungsmassnahmen mit Senior*innen drehte, kam ein rein digitales Set-Up nicht in Frage. Daher entwickelten wir ein hybrides Kleingruppensetting, durch welches die vulnerable Zielgruppe mitwirken konnte, und gleichzeitig eine Ansteckungsgefahr durch das Corona Virus minimiert wurde. Schliesslich arbeiteten wir in den letzten Monaten auch immer wieder mit Online-Umfragen oder postalischen Versänden, wenn es um Mitwirkungen rund um Neubauten von Schulen oder Weiterentwicklungen von gemeinschaftlich genutzten Gebäuden oder Arealen ging. Auf unserem Blog gibt es für Interessierte dazu noch einiges zu lesen.

Eine Methode für die digitale Kennenlernrunde: Alle Teilnehmer*innen verdecken ihren Bildschirm mit einem Post-it, die Moderatorin oder der Moderator stellt eine Frage, wer mit ja antworten kann, nimmt sein Post-it weg und stellt sich vor.

HCCD: Was hat sich dabei bewährt? Wo liegen die Grenzen, z.B. hinsichtlich Technik, Kosten, Akzeptanz oder Datenschutz?

Delia Imboden: Grenzen gibt es grundsätzlich keine – so vieles ist möglich (lacht). Mit diesem Mindset wären wir heute noch dort, wo wir vor 1.5 Jahren gewesen sind und wichtige gesellschaftliche Prozesse wären ins Stocken geraten oder gar komplett versandet. Im Endeffekt ist es sicher immer eine Ressourcenfrage – personell wie auch finanziell. Dennoch können auch mit wenigen und begrenzten Mitteln partizipative Ansätze umgesetzt werden. Sehr bewährt hat sich in den letzten Monaten immer die Mischung von digitalen und analogen Komponenten. Beispielsweise der Versand von analogen Vorbereitungsaufgaben oder Unterlagen für das digitale Meeting. Oder auch das Verschicken eines Apéros für das digitale Treffen. Es müssen auch Räume für einen informellen Austausch entstehen, das ist zentral. Gleichzeitig wurde gerade das Projektmanagement, wo einfache Absprachen oder ganze Planungssitzungen ins Digitale verlegt werden, im Endeffekt effektiver und es gab weniger Reibungsverluste durch das Reisen von A nach B, von Sitzung zu Sitzung. Das werden wir sicher beibehalten – genauso wie die Arbeit mit digitalen Tools wie Miroboard, oder Survey Monkey, um digitale Umfragen zu erstellen. Schliesslich ist es auch immer spannend, neue digitale Tools und Methoden auszutesten, die die eigene Arbeit bereichern – Pandemie hin oder her. Wichtig ist abschliessend immer auch die Co-Kreation mit den Kund*innen, die ihre Dialoggruppen und deren Bedürfnisse am besten kennen. Da konnten wir während Corona auch sehr viel von unseren Kund*innen lernen und gemeinsam neue Settings und Ideen entwickeln.

Kleingruppensetting mit übergeordneter digitaler Regie

HCCD: Digitale Partizipation versus «konventionelle» Partizipation – wo liegt die Zukunft?

Delia Imboden: Digitale Formen der Partizipation gewinnen nicht nur aufgrund der Pandemie an Bedeutung, sondern auch im Zuge der generellen Demokratisierung und Digitalisierung unserer Gesellschaft. Sie bieten das Potential, Bevölkerungsgruppen abzuholen, die sich ansonsten weniger aktiv beteiligen würden. Gerade junge Menschen können durch digitale Methoden potentiell stärker in Prozesse miteinbezogen werden. Doch auch bei der Generation 65+ sind digitale Angebote hoch im Kurs. Mein Fazit ist: Digitale Partizipation ja sicher und ja, gerne: Dennoch plädiere ich unter dem Strich – wie schon erwähnt – auch für einen Methodenmix: analoge und digitale Methoden mischen, sich für Partizipation wo möglich und nötig vor Ort treffen und gleichzeitig von digitalen Möglichkeiten wie Online-Umfragen profitieren. 

HCCD: Vielen Dank für den spannenden Einblick in eure Arbeit.


Delia Imboden ist Kulturwissenschaftlerin und arbeitete im öffentlichen Sektor, im Kulturbereich und zuletzt in einem Berner Start Up in der Kommunikation. Sie war freischaffende Journalistin und moderiert immer noch ab und an Literaturevents. Seit Herbst 2020 ist sie als Projektleiterin Teil des ProjektForum Teams. 

ProjektForum ist eine Agentur für gesellschaftspolitische Themen. Als Facilitator planen sie ihre Mandate so, dass aus einer Idee ein passendes Projekt und – wo erfolgreich – nachhaltige Strukturen entstehen. So sind sie stolz darauf, jeweils in der Ausarbeitung einer Idee mit ihren partizipativen Methoden und einem pragmatischen Projektverständnis zahlreiche «Geburten» begleitet zu haben. Noch mehr Freude bereitet es ihnen, wenn sie sehen, dass sich aus diesen Projekten langfristig institutionell verankerte Massnahmen, Stellen und Angebote entwickeln.


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Beatrice Kaufmann

Beatrice Kaufmann works as a research associate at the Bern University of the Arts (HKB). Her field of interest is health care communication design and social design. She has extensive practical experience as a graphic designer and illustrator.

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1 Response

  1. 24/09/2021

    […] Was wir bis jetzt aus der Pandemie gelernt haben, lesen Sie im Interview. […]

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