Selbstbestimmtes Wohnen für Menschen mit Behinderungen

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Foto: istock.com/RyanJLane

In der föderalistischen Schweiz werden verschiedene Wege ausprobiert, um die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen im Bereich Wohnen zu fördern. Entsprechend entwickelten sich die Regionen in den letzten zehn Jahren unterschiedlich. Der Trend zeigt jedoch deutlich in Richtung private Wohnangebote.

Die Schweiz ratifizierte 2014 die UNO-Behindertenrechtskonvention, die für Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen (Wohnen, Bildung, Arbeit, Freizeit etc.) fordert. Ein Themenfeld ist dabei das selbstbestimmte Wohnen. Menschen mit Behinderungen haben besondere Wohnbedürfnisse. Körperlich Behinderte benötigen angepasste bauliche Strukturen, für psychisch Behinderte sind einfach zugängliche Unterstützungsmöglichkeiten wichtig.

Die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Wohnen können sowohl in institutionellen als auch in privaten Wohnformen erfüllt werden. Innerhalb des Wohnangebots für Menschen mit Behinderungen gibt es unterschiedliche Autonomiegrade. Im Rahmen der Studie «Bestandesaufnahme des Wohnangebots für Menschen mit Behinderungen» wurde angenommen, dass Menschen mit Behinderungen selbstbestimmter wohnen, wenn sie

  • in einem privaten Wohnsetting leben – das heisst ihre Wohnung selbst mieten.
  • in einem institutionellen Wohnsetting ohne 24-Stunden-Betreuung leben, zum Beispiel in einer Aussenwohngruppe.

In Zusammenarbeit mit Interface und Evaluanda erstellte Studie zeigt auf, wie sich das Wohnangebot seit 2011 quantitativ entwickelt hat und welche regionalen Unterschiede bestehen. Diese Übersicht ist von besonderer Bedeutung, da seit dem Neuen Finanzausgleich im Jahr 2008 die Finanzierung stationärer Wohnangebote vollständig vom Bund zu den Kantonen verschoben wurde und die Gesamtsicht seither fehlte. Im Bereich Wohnfinanzierung konzentriert sich der Bund nun auf die direkte Unterstützung von Menschen mit Behinderungen und auf Institutionen, die Wohnunterstützungen im privaten Segment anbieten. Zudem steht der Invalidenversicherung seit der 5. IV-Revision 2008 das Instrument des Assistenzbeitrags zur Verfügung, mit dem Hilfeleistungen im privaten Bereich finanziert werden. In 15 Kantonen wird die private Wohnunterstützung des Bundes darüber hinaus durch kantonseigene Angebote ergänzt, bzw. laufen Pilotprojekte in diesem Bereich.

Die folgenden Zahlen beziehen sich auf erwachsene Personen (18 bis 64 Jahre), die eine Leistung der IV beziehen und in einem institutionellen Setting wohnen oder in einem privaten Wohnsetting unterstützt werden. Sie beruhen auf Registerdaten des Bundesamts für Sozialversicherungen, auf der Statistik der Sozialmedizinischen Institutionen SOMED sowie auf einer mit eigenen Recherchen ergänzten Datenbank der Interkantonalen Vereinbarung für soziale Einrichtungen.

Regionale Unterschiede im selbstbestimmten Wohnen

Betrachtet man das Wohnangebot für Menschen mit Behinderung, so ist in der Westschweiz die Quote privater Wohnsettings mit 5.21 pro 1‘000 Einwohnerinnen und Einwohner am höchsten und nimmt in der Deutschschweiz nach Osten hin ab – bis auf 3.41 in der Ostschweiz (inkl. Kanton Zürich). Umgekehrt liegt in der Westschweiz die Quote institutioneller Wohnsettings mit 3.20 deutlich tiefer als in der Deutschschweiz. Die untenstehende Grafik zeigt die Unterschiede nach Regionen im Detail.

Der Anteil von Wohnsettings mit höherer Autonomie innerhalb der institutionellen Wohnsettings ist in der Zentralschweiz mit 58% am höchsten und in der Romandie mit 33% bedeutend tiefer. Am gesamten Wohnangebot von Menschen mit Behinderungen machen die institutionellen Wohnsettings mit höherer Autonomie in der Zentralschweiz 30% und in der Romandie 14% aus. Zählt man diese Anteile mit den Anteilen der privaten Wohnsettings zusammen, so sind die Unterschiede weniger gross. Je nach Region wohnen somit 68% bis 79% der Menschen mit Behinderungen in einem Wohnsetting mit höherer Autonomie. Der Unterschied zwischen den Regionen liegt somit nicht im Umfang des selbstbestimmten Wohnens, sondern in der Art der Umsetzung.

Um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zusätzlich zu verbessern, fordern Behindertenorganisationen zudem die Entflechtung der Lebensbereiche Arbeit und Wohnen. Dies wird in der Ostschweiz offenbar am besten umgesetzt: der Anteil an institutionellen Wohnsettings mit Beschäftigung ist hier mit 36% am tiefsten.

Zeitliche Entwicklung und Empfehlungen

Betrachtet man die Entwicklung der Wohnsettings in den letzten Jahren, so blieb die Anzahl institutioneller Wohnplätze seit 2011 weitgehend stabil. Hingegen nahm die Anzahl privater Wohnsettings um insgesamt 21% zu – in der Nordwestschweiz sind es 25% und in der lateinischen Schweiz gar 30%. Die Entwicklung des selbstbestimmten Wohnens von Menschen mit Behinderungen wird auch in Zukunft durch den Ausbau des privaten Angebots vorangetrieben. Jedoch müssen die Übergänge zwischen institutionellen und privaten Wohnsettings stärker begleitet werden. Interviews mit Behindertenorganisationen und Betroffenen zeigen, dass viele Kantone in diesem Bereich bereits spezifische Angebote entwickelt haben, dass aber zusätzlicher Bedarf besteht.

Eine Weiterentwicklung im Sinne der Behindertenrechtskonvention könnte nicht zuletzt die Einführung der Subjektfinanzierung bringen, denn sie hat zur Folge, dass Menschen mit Behinderungen mehr Entscheidungsmöglichkeiten in den Lebensbereichen Wohnen und Arbeit haben. In den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft ist sie bereits umgesetzt, im Kanton Zug läuft derzeit ein erster Versuch und im Kanton Bern wird demnächst ein Pilotprojekt zu Ende gehen. Insgesamt sollen die Wohnangebote für Menschen mit Behinderungen aber weiter diversifiziert werden und sich an den Bedürfnissen der Menschen mit Behinderungen orientieren.

 


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