Die restriktive Unterhaltspolitik auf dem Prüfstand

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Foto: istock.com/BernardaSv

Wird im Scheidungsfall die Gleichstellung von einer zu starren Rechtspraxis blockiert? Das SNF-Projekt «Scheidung als soziales Risiko» hat anhand bestehender Verwaltungsdaten untersucht, wie die ökonomische Gleichstellung und die Entwicklung in der Unterhaltspraxis zusammenhängen.

Obwohl die Schweizer Familienpolitik als zäh und träge gilt, erfuhr das Scheidungsrecht in den letzten Jahrzehnten gewichtige Änderungen. Vor vier Jahren erfolgte die Ausrichtung des Betreuungsunterhalts auf das Kind, vor sechs Jahren wurde das gemeinsame Sorgerecht als Normalfall eingeführt. Bereits zwanzig Jahre her ist die grosse Scheidungsrechtsrevision: Das Kernstück der Revision war die Abkehr vom Verschuldensprinzip. Im Einklang mit der Idee eines partnerschaftlichen Eherechts sollten Grundlagen geschaffen werden, um Ehen einvernehmlich aufzulösen.

Die Scheidungsrechtsrevision im Jahr 2000

Diese Neuorientierung veränderte die Rechtsprechung betreffend Unterhaltszahlungen. Im alten Recht lieferte die Schuldfrage den Rahmen für die Festlegung der Ansprüche. Einfach gesagt, wer die Scheidung verschuldete, musste zahlen: War es der Mann, zahlte er der ehemaligen Partnerin Unterhalt als Kompensation für den Verlust von Vermögen. War es die Frau, dann erhielt sie mit der Begründung, sie habe das persönliche Verhältnis zum Ehepartner verletzt, weniger oder gar keinen Unterhalt.

Das neue Scheidungsrecht war hingegen vom Gedanken des sauberen Bruchs zwischen gleichberechtigten Eheleuten geprägt (der so genannte «Clean Break»): Ehegattenunterhalt sollte von nun an nur noch in Ausnahmefällen gesprochen werden, etwa bei ungleicher ehelicher Arbeitsteilung oder ungenügender Altersvorsorge. Die explizite Berücksichtigung der Vorsorgesituation wurde insofern relevanter, da mit der Revision des Scheidungsrechts die Pensionskassenguthaben fortan wie in der AHV automatisch aufgeteilt wurden.

Unterhalt: Von jeder zweiten zu jeder dritten Scheidung

Seit der Revision haben sich die Einkommen von Mann und Frau zunehmend angeglichen, die Vorsorgesituation beider Geschlechter wurde egalitärer und das gemeinsame Sorgerecht eingeführt. Vor diesem Hintergrund war zu erwarten, dass Unterhaltszahlungen seltener wurden. Diese Vermutung hat ein Forschungsteam der BFH nun erstmals mit einem eigens für die Forschungsfrage erstellten Datensatz empirisch überprüft. Er enthält anonymisierte Daten zu allen Schweizer Scheidungsurteilen von 1990 bis 2008, welche mit den Einkommensverläufen der betroffenen Paare verknüpft wurden.

Die Analyse zeigt einen deutlichen Abwärtstrend: Zwischen 1990 und 1992 wurde bei jeder zweiten Scheidung Unterhalt für die Frau festgelegt, zwischen 2006 und 2008 nur noch bei jeder dritten. Seit 1990 war auch die ökonomische Gleichstellung vorangeschritten: Bei Scheidungen in den Jahren 1990 bis 1992 verdienten die Ehefrauen durchschnittlich 27% des Gesamteinkommens, während es 2006 bis 2008 bereits 32% waren.

Abnahme im Unterhalt verlief schneller als die Gleichstellung

Die zunehmende ökonomische Gleichstellung erklärt die Abnahme der Unterhaltszahlungen aber nicht allein. Die Analyse zeigt, dass Veränderungen beim Einkommen und Sorgerecht höchstens die Hälfte der nicht mehr gesprochenen Unterhaltszahlungen erklären. Überraschend ist auch, dass trotz starker Reduktion der Unterhaltszahlungen die Einkommen der Frauen in den Jahren nach einer Scheidung nicht anstiegen.

Gleichstellung muss vor der Scheidung geschehen

Die Unterhaltsregelung in der Schweiz wird oft als unzeitgemäss, grosszügig und starr kritisiert Gelegentlich wird gar die Vermutung aufgestellt, sie verhindere die ökonomische Gleichstellung. Die vorliegende Analyse legt jedoch dar, dass sich die Einkommenssituation für Frauen verschlechtert hat: Von geschiedenen Frauen, die früher Unterhalt erhalten hätten, wird heute ökonomische Selbständigkeit erwartet, doch der Wegfall von Unterhalt ging nicht mit einer verstärkten Erwerbstätigkeit einher. Angesichts ähnlicher Resultate aus Deutschland kann somit bezweifelt werden, dass sich die ökonomische Gleichstellung durch eine restriktivere Unterhaltspolitik fördern lässt. Da es bei einer allfälligen Scheidung schon zu spät ist, wäre es wirkungsvoller, Gleichstellung zu fördern, bevor Paare eine feste Rollenverteilung eingehen.

 


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