Seit einigen Jahren wächst die alte Kulturpflanze Flachs wieder zunehmend in der Schweiz. Die vielfältige Pflanze liefert Leinsamen und Leinen zugleich. Ein Forscher der Berner Fachhochschule hat jetzt mit Emmentaler Bauern untersucht, welche Flachssorten auf verschiedenen Böden den höchsten Ertrag bringen und wie die Leinenfasern eine besonders gute Qualität erreichen – für robuste Schwingerhosen und andere Textilien.
Flachs – auch Lein genannt – ist ein botanisches Multitalent. Aus dem natürlichen Rohstoff mit der blauen Blüte entstehen Leinenstoffe, Leinöl und Leinsamen. Der ganze Halm lässt sich verwerten. Doch die alte Faserpflanze, die noch bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts überall in der Schweiz auf den Feldern stand, geriet in Vergessenheit. Denn statt Leinen setzt die Textildustrie auf die viel billigere, importierte Baumwolle. «Der ökologische Fussabdruck der Textilherstellung ist sehr hoch», sagt Dominik Füglistaller, Agronom an der Berner Fachhochschule (BFH). Gemeinsam mit Bauern im Emmental, der Firma Swissflax und Textilunternehmen möchte er die nachhaltige Textilproduktion aus Flachs wieder stärker in der Schweiz verankern. Dazu hat er drei Jahre lang fast ein Dutzend Sorten auf den Versuchsfeldern der BFH getestet und mit seinen Projektpartnern die gesamte Produktionskette bis zum fertigen Kleidungsstück in die Praxis umgesetzt.
«Im Flachsanbau gab es viel zu erforschen. Durch die Kollaboration mit der Berner Fachhochschule wirkten Theorie und Praxis Hand in Hand, und wir kamen rasch voran.»
Adrian Brügger, Landwirt und Geschäftsführer SwissFlax GmbH
Dieses Jahr haben die Emmentaler Flachsbauern bereits sieben Hektar angesäht. Im Juni lockten Millionen blauer Blüten auf hoch aufgeschossenen Stängeln die Bienen an. Wenn daraus die erbsengrossen Kapseln gereift sind, ist Erntezeit. Füglistaller erklärt: «Da die Kapseln etwas früher reif sind als die Stängel, die wir dann für die Flachsfasern brauchen, ist es entscheidend, hier den richtigen Zeitpunkt zu treffen. Interessanterweise gelingt das von Auge gleich gut wie mit Temperaturmessungen.» Sobald die filigranen Pflanzen etwa zwei Drittel ihrer Blätter verloren haben, werden sie mit einer Spezialmaschine mitsamt der Wurzel ausgezupft und flach auf das Feld gelegt. Einige Tage später ernten die Bauern dann die Kapseln mit den Leinsamen. Diese können sie als Nahrungsmittel verkaufen.
Die Stängel bleiben noch etwa drei Wochen auf dem Feld, wo sie ab und zu mittels einer weiteren Spezialmaschine gewendet werden. In dieser Zeit werden die Flachsfasern «geröstet». Das ist ein natürlicher Vorgang, bei dem Pilze und Bakterien aus dem Boden die Hauptarbeit erledigen. «Sie bauen Pektin und Hemizellulose in den Stängeln ab», erläutert Füglistaller. «So kann man später die Fasern rein mechanisch vom umgebenden Holzanteil lösen.» Um die bestmögliche Faserqualität zu erzielen, müssen die Landwirte diese sogenannte Feldröste durch die Mikroorganismen genau rechtzeitig unterbrechen. Sie prüfen dazu die Farbe und den Pilzbewuchs der Flachsbüschel und schauen, wie elastisch die Halme sind. Wenn die Bedingungen perfekt waren, ernten sie Fasern in Top-Qualität: Ein Bündel solcher Fasern glänzt und fühlt sich ungefähr an wie ein Pferdeschweif, etwas rau, leicht ölig und sehr reissfest. Das geerntete Flachsstroh verkaufen die Bauern an die Swissflax. Das junge Unternehmen organisiert das Aufschliessen sowie das Trocknen, Kämmen und Verspinnen der Fasern.
«Bis zum zweiten Weltkrieg wurden in der Schweiz fast 200 Hektar Flachs angebaut», berichtet Füglistaller. «Doch heute gibt es in ganz Europa nur noch zwei Leinenspinnereien.» Vorläufig wird das Emmentaler Flachsstroh daher in den Niederlanden, Litauen oder Polen weiterverarbeitet. Von jedem Hektar entstehen so über 500 Kilogramm Garn, welches die Swissflax an verschiedene Schweizer Betriebe weiter vertreibt. Diese stricken daraus Pullover, weben Vorhänge und kreieren Taschen, Schwingerhosen oder Teppiche. «Der Ertrag pro Hektar ist bei Flachs doppelt so gross wie bei Baumwolle», weiss Füglistaller. «Das hilft auch den Bauern, denn das atmungsaktive Leinen ist sehr beliebt.»
Dank seiner Analysen der verschiedenen Flachssorten kann Füglistaller die Flachsbauern individuell beraten: Felice und Avian sind besonders ertragsstarke Sorten; für schwere Böden eignet sich aber eher Lisette. Der Berner Forscher hat auch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln untersucht: Flachsanbau benötigt nicht nur weniger Pestizide, sondern auch weniger Wasser und Dünger als Baumwollplantagen.
Um den Flachsanbau in der Schweiz nachhaltig zu etablieren, hat Füglistaller mit den Bauern ein Qualitätszahlungssystem erarbeitet. Er hält Vorträge für Landwirtinnen und Landwirte an Berufsschulen, und in Zukunft möchte er den Studierenden an der BFH ein Wahlmodul zu Flachs und anderen Nischenkulturen anbieten.