Farbe auf der Intensivstation

Über den positiven Einfluss von Farbe und Licht auf Patient*innen und Pflegepersonal von Intensivstationen

von Alexa Blum und Jean Odermatt

Corona – welchen Beitrag können wir als Wissenschaftler*innen und Designer*innen in der Krise leisten? Welche Aufgabe kommt Forschenden zu, die sich mit dem Thema Gesundheit aus einer Perspektive auseinandersetzen, die die Beziehung zwischen Mensch und der gestalteten Umgebung in den Vordergrund stellt? Ist es angemessen, angesichts einer Pandemie, in der Menschen auf Intensivstationen sterben, Gestaltungsfragen zu diskutieren und von Farben und Materialien zu sprechen? Wir meinen ja – und um dies gleich vorwegzunehmen: eine neue, richtungsweisende Studie der Bergischen Universität Wuppertal und der Heliosklinik von 2019 belegt, dass alleine durch Farbgebung auf der Intensivstation der Bedarf an Schmerzmitteln um ein Drittel gesenkt werden konnte. Die positiven Auswirkungen der Intervention betreffen nicht nur Patient*innen, sondern auch das Personal, dessen Kondition bekanntermassen wiederum starke Auswirkungen auf den Gesundungsprozess der Patient*innen nimmt.

Krankenhaus Giovanni XXIII, Bergamo, Foto: Sergio Ramazotti/Spiegel

Vor diesem Hintergrund sehen wir es als sinnvoll an, auch heute – und gerade jetzt – Gestaltungsthemen zu diskutieren, zu einem Zeitpunkt, wo die Krise unsere Vorstellungen und die uns vertraute Welt aus den Fugen zu heben scheint. Dies ist vor allem wichtig in Anbetracht der Frage, was wir aus der Krise lernen und wie wir die Welt danach gestalten wollen. Kaum zuvor wurde in nahezu allen Kreisen der Gesellschaft weltweit die Frage nach Gesundheit und dem Funktionieren von Gesundheitssystemen intensiver diskutiert als jetzt. In der Krise werden Mängel selbst in den gut ausgebauten Gesundheitssystemen Mitteleuropas sichtbar. Dort wo ökonomische Effizienz und eine Konzentration auf die logistischen Abläufe höchste Priorität bei der Planung und Budgetierung von Krankenhäusern bestimmte, befürchtet man nun, dass die Anzahl verfügbarer Betten und Ausrüstungen zu knapp ist wie auch die physische und psychische Kapazität des Personals an den Anschlag kommt. Gleichzeitig stand bis vor wenigen Wochen noch die «Kostenexplosion» im Gesundheitswesen ganz vorne auf der politischen Agenda. Ein Dilemma, das zu lösen neue Denkansätze fordert. Solange der technische und pharmakologische Fortschritt neue Möglichkeiten eröffnet, werden wir diese nutzen wollen – und die Kosten im Gesundheitswesen werden weiter steigen. Die die im Nachfolgenden näher beschriebene Studie der Bergischen Universität Wuppertal zeigt jedoch, dass es neben den genannten medizinischen Ansätzen auch alternative Behandlungsansätze gibt, die selbst in Krisensituationen, wie einem Aufenthalt in einer Intensivstation, messbare Erfolge zu erzielen vermögen. Diese gezielt zu erforschen ist unserer Meinung nach eine zukunftsweisende Investition der Gesundheitsforschung. 

Ein erster bedeutender Schritt dazu wäre bereits die blosse Akzeptanz der Tatsache, dass die Gestaltung von Räumen einen positiven Einfluss auf den Menschen besitzen kann. Das würde bedeuten, sich auf neue und ergänzende Behandlungswege einzulassen, sie zu erforschen und auszubauen und diese schliesslich im Gesundheitssystem zu verankern. Das gilt sowohl für medizinische Kreise als auch für die Bildung eines allgemeinen Bewusstseins innerhalb unserer Gesellschaft. Dabei handelt es sich um eine fakten- und evidenzbasierte Auseinandersetzung mit der Frage, welche Methoden zu Gesundheit führen und auch in Krisenzeiten helfen, sie zu erhalten oder wiederzuerlangen. Das Bewusstsein, mit Gestaltung gezielt Gesundheit und Wohlbefinden zu unterstützen, ist in der Forschung und in Fachkreisen zwar in ersten Ansätzen vorhanden, einer breiteren Öffentlichkeit jedoch noch weitgehend unbekannt. 

Auf dem Areal des Schweizer Paraplegikerzentrums in Nottwil wurde ein Notfallzentrum errichtet. @zentralplus

Gestaltungsfragen werden in der Regel mit Dekoration und Lifestyle, dem «Schöner Wohnen» einer Wohlstandsgesellschaft, assoziiert. Dabei kommt eine Haltung zum Ausdruck, die das «Schöne» zwar als erstrebenswert benennt, im Ernstfall aber als meist nebensächlich erklärt. Dabei werden Farbe, Form, Material oder Anmutung zum vermeintlich verzichtbaren Luxus. Die Forschung liefert aber zahlreiche Belege dafür, dass der Raum, in dem wir uns bewegen, signifikanten Einfluss auf unser Befinden nimmt. Die visuellen Signale können Wohlbefinden und Sicherheit vermitteln, sie können anregen oder aber auch beunruhigen und Stress auslösen. Ein wesentlicher Faktor hierzu sind Farben. Wir verstehen Gestaltung und Design nicht nur als ästhetisches Element, sondern als ein Mittel, Empfindungen, Assoziationen und Emotionen auszulösen sowie gezielt Informationen zu vermitteln. Damit – so unsere Überzeugung – haben wir ein wichtiges Instrumentarium in der Hand, das jedoch heute noch in seiner Wirkung weitgehend unterschätzt ist. In Zeiten, in denen das Thema Gesundheit im Vordergrund steht, können jedoch neben medizinischen Massnahmen auch alternative und ergänzende Gestaltungsansätze Wege zu einem neuen Gesundheitsverständnis sichtbar machen. 

Umweltpsycholog*innen, Soziolog*innen und Designinstitute beschäftigen sich weltweit seit Jahrzehnten mit Studien, welche die Wirkung der Umwelt auf den Menschen und dessen Befinden nimmt. Dabei haben sie beachtliche Zusammenhänge sichtbar gemacht, die für die Gestaltung privater und öffentlicher Räume von grösster Relevanz sein dürften und in der heutigen Situation – allem voran in Gesundheitseinrichtungen – Anwendung finden sollten. Diese Forschungsergebnisse sind jedoch in der öffentlichen Wahrnehmung kaum bekannt und finden deshalb erst wenig Verbreitung. 

Daran könnte die aktuelle Situation der Coronakrise vielleicht nun etwas ändern. Vorausgesetzt wir führen eine breitere Diskussion, stellen die aktuelle Krise in einen grösseren Zusammenhang und fragen uns, was der Begriff «Gesundheit» eigentlich bedeutet: Wie entsteht Gesundheit? Welche Faktoren unterstützen die Gesundheit und sind geeignet den Menschen zu stärken? Die WHO definierte bereits 1986 mit der Charta von Ottawa, dass Wohlbefinden und ein Umfeld, das eine positive Entwicklung des Individuums ermöglicht, wesentliche Voraussetzungen für Gesundheit sind. Die Schaffung eines positiv stimulierenden Umfeldes führt langfristig gesehen zu einer höheren Resilienz des Individuums. Eine Gesellschaft, die dieses Prinzip verinnerlicht, stärkt nachhaltig eine gesunde Entwicklung ihrer Mitglieder. Die Gestaltung eines Umfeldes das Emotionen, Intellekt, und alle Sinne gleichermassen anspricht, bilden hierfür einen wichtigen Bestandteil. 

Es liegt nahe, die Wirkung eines positiv stimulierenden Umfeldes zunächst einmal als einen Prozess zu sehen, der über einen längeren Zeitraum die Entwicklung des Menschen unterstützend begleitet. Es gibt jedoch auch Studien, die darauf hinweisen, dass selbst kurzfristige Impulse – wie Farbe im Raum – eine Wirkung erzielen. 

Bei ungünstigstem Verlauf einer Corona Erkrankung werden Patient*innen intensivmedizinisch behandelt. Wie die bereits erwähnte Heliosstudie aufzeigt, kann auch in einer Krisensituation, die eine Intensivstation darstellt, ein kurzfristiger Impuls messbare Wirkung erzielen. Die Intensivstation der Heliosklinik wurde farblich neu gestaltet, das klinische Weiss durch warme Bunttöne ersetzt. Verschiedene messbare Daten, die vor und nach der Intervention genommen wurden, zeigen eindrücklich eine positive Wirkung auf Patient*innen und Mitarbeitenden. Dies ist eine Erkenntnis, die gerade in der aktuellen Situation nicht unbeachtet bleiben sollte und diskutiert werden muss, wenn zukünftig Intensivstationen gestaltet werden. 

Zur Heliosstudie

Die weltweit grösste Forschungsstudie des Helios Universitätsklinikum Wuppertal wurde in Kooperation mit der Bergischen Universität Wuppertal über einen Zeitraum von 24 Monaten (Oktober 2017/2019) auf den Intensivstationen des Klinikums in Barmen durchgeführt. In enger Abstimmung der beiden Kooperationspartner wurde untersucht, welchen Einfluss ein neues Farb- und Lichtkonzept der Intensivstation auf den Menschen nimmt. 

©Helios.Kliniken

Die Patienten-/Angehörigenbefragungen sowie Mitarbeiterinterviews belegen die Wirksamkeit von Farbe und Licht auf das Wohlbefinden und die Zufriedenheit des Menschen. «Bei der Auswertung der Befragungen zeigen sich hervorragende Ergebnisse: Die Zufriedenheit der Patient*innen mit den Räumlichkeiten wurde durch die neue Farb- und Lichtgestaltung um ein Drittel gesteigert», so Prof. Dr. Axel Buether (2). Die Wirkung erstreckt sich aber nicht nur auf die Wahrnehmung des architektonischen Raums, sondern auch auf die der Fürsorge. Der von den Betroffenen als «Wohlfühlatmosphäre» bezeichnete Raumeindruck der Aufenthaltsräume und Patientenzimmer sorgt für eine effektivere Pflege. 

Die positive Bewertung der Pflegemassnahmen stieg bei den Patient*innen nach der Renovierung um fast 30%. «Zudem fühlen sich die Patienten nach den Renovierungsarbeiten auf der Station wesentlich privater und wohler. Insbesondere Gefühle wie Geborgen- und Sicherheit sind für die Genesung der Patienten ein entscheidender Faktor. Hier haben wir nach der Renovierung eine Steigerung von über 55% erzielt», erläutert Dr. Gabriele Wöbker. 

Durch die Neugestaltung der Station wurde aber nicht nur die Zufriedenheit der Patient*innen, sondern auch die der Mitarbeitenden gesteigert. «Die Raumqualität der Patientenzimmer wird vom Personal sogar um 40% besser beurteilt», so Prof. Dr. Axel Buether. Auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit ihrer Arbeit konnte durch das Projekt um 12% gesteigert werden. 

Ein weiterer wichtiger Aspekt stellt die Identifikation der Mitarbeitenden mit ihrem Arbeitsplatz dar: Nach der Neugestaltung der Station haben sich die Mitarbeitenden deutlich stärker mit ihrem Arbeitsplatz identifiziert. Im Vergleichszeitraum wurde eine Steigerung von fast 30% erzielt. «Auch bei der Wirkung von Farbe und Licht auf den Medikamentenverbrauch der Patienten können wir auf bahnbrechende Ergebnisse zurückgreifen. So konnte der Verbrauch an Medikamenten im Vergleichszeitraum um durchschnittlich 30% gesenkt werden», erzählt Dr. Gabriele Wöbker. 


(1) https://www.helios-gesundheit.de/kliniken/wuppertal/unser-haus-karriere-presse/aktuelles/detail/ news/forschungsstudie-bestaetigt-positiven-einfluss-von-farbe-und-licht-auf-patienten-und-personal-von- int/

https://www.youtube.com/watch?v=43Dp9zB9o6M

(2) Büther & Wöbke ( 2019), https://axelbuether.de/wp-content/uploads/2018/03/Auswertung_Heliosstudie_Farbe_ Licht_110319.pdf abgerufen am 9.12.2019


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alexablum

Alexa Blum is a designer and corporate design manager with over twenty years of experience in the development of colour concepts for public spaces with a focus on buildings in the healthcare sector. She works as a researcher at the Bern University of the Arts (HKB).

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2 Responses

  1. 14/05/2020

    […] Farbe auf der Intensivstation. Über den positiven Einfluss von Farbe und Licht auf Patient*innen und Pflegepersonal von Intensivstationenhttps://hccd.hypotheses.org/116 […]

  2. 02/06/2020

    […] ist ein weiteres Forschungsprojekt (siehe unseren Blog-Beitrag «Farbe auf der Intensivstation» vom 15.04.2020), welches der Frage nachgeht, wie man mit gestalterischen Massnahmen zu […]

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