Aus Horror-Spielen lernen
Die Pandemie und Wissenstransfers in digitalen Spielen.
von Eugen Pfister
In unserem SNF-Ambizione Forschungsprojekt „Horror-Game-Politics“ geht es uns darum zu zeigen, dass digitale Spiele als integraler Bestandteil der Populärkultur nicht nur eine Unterhaltungs-, sondern auch eine Kommunikationsfunktion haben. In unserer Populärkultur einigen wir uns nämlich als Gesellschaft jeden Tag aufs Neue auf unsere gemeinsamen Werte, Tabus und Weltanschauungen. Naturgemäß werden die hier besprochenen Themen oft in einem fiktiven Rahmen bis zur Unkenntlichkeit übersteigert. Angesichts von Drachen, Zombies und Mutanten ist dann nicht mehr ganz so klar, dass wir es zugleich mit ganz realen Themen wie Meinungsfreiheit, Autokratie und Umweltschutz zu tun haben. Und doch entstehen hier für viele Menschen, die in ihrem täglichen Leben keinen Kontakt zu diesen Themen haben erste gedankliche Bezugsrahmen (Frames).
Gerade eben können wir dieses Transferprozess zwischen Spielen (als Teil der Populärkultur) und unserer Alltagswelt angesichts der Corona-Pandemie beobachten. Normalerweise greifen wir angesichts neuer Herausforderungen in unserem Leben zu allererst auf unser eigenes Gedächtnis zurück, um Gefahren richtig erkennen zu können und Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Da die meisten von uns in Westeuropa keine persönlichen Erfahrungen mit vergleichbaren Krisen dieser Größenordnung haben, müssen wir notwendigerweise auf unser kollektives Gedächtnis zurückgreifen. Auf welche potenziellen Gefahren sollen wir uns wie vorbereiten? Das bedeutet, dass viele von uns notgedrungen auf dystopische Szenarien in Film, Literatur und Computerspielen zurückgreifen, sowohl um die Pandemie (und die daraus entstehenden Gefahren) zu verstehen, als auch um diese zu bewältigen.
Dabei übernehmen wir naturgemäß nie 1:1 Weltsichten und Handlungsanweisungen aus diesen Spielwelten. Unsere kollektive Reaktion in Westeuropa gibt diesbezüglich Anlass zur Hoffnung, sind wir doch zum Glück nach wie vor weit vom Zusammenbruch von Recht und Ordnung wie in „The Last of Us“ entfernt. Schon in Großbritannien und den USA verhält es sich anders: Hier wie dort werden individuelle Freiheiten als Werte teilweise höher eingestuft als eine solidarisches Handeln mit allen damit verbundenen Einschränkungen. Bisher kam es nur in den USA zu vermehrten Waffenkäufen, während in Europa in allen Ländern mehr oder weniger die gleichen Maßnahmen gesetzt und vom Großteil der Bevölkerung akzeptiert wurden. Auch wenn wir also nicht unbedingt alle „Lehren“ aus postapokalyptischen Spielewelten auf unsere Alltagswelt übertragen, helfen uns Horror-Spiele doch zum Beispiel als „worst case“ Szenarien die uns ständig in Erinnerung rufen, was es eben zu vermeiden gilt. Auch bieten uns dystopische Spiel-Szenarien – in unsere Sprachlosigkeit im Angesicht des Unbekannten – eine Sprache, die uns hilft, über unsere Gefühle und Ängste zu sprechen. Auf Twitter finden Sie mehrere Beispiele dafür, wie Resident Evil, Walking, und Silent Hill herangezogen werden, um die düstere Atmosphäre zu vermitteln die wir erstmals erfahren.
Es handelt sich hierbei nicht um ein grundlegend neues Phänomen. In früheren Jahrhunderten griffen wir im Angesicht unbekannter Bedrohungen auf die Bibel zurück. Pandemien wurden so zur Geißel Gottes. Gleichzeitig wurde den Menschen aber eine Möglichkeit gegeben, sich aktiv zu schützen, indem sie die Regeln der Kirche befolgten. Moderne Dystopien bieten im Allgemeinen keine so klaren Handlungsanweisungen – bis vor kurzem spielte Klopapier in Zombie-Spielen keine Rolle. Aber auch sie vermitteln uns Werte und Weltbilder, die als Rahmen für unsere Welterklärungsmodelle dienen. Oftmals handelt es sich dabei in einer US-amerikanischen Tradition um ideologische Aussagen, die das Individuum zur letzten Instanz erheben und dazu tendieren, kollektives Handeln kritisch zu bewerten. Potenziell werden solche ideologischen Transfers in unserer Welt dann in irrationale Hamsterkäufen und nationalistische “wir zuerst” Slogans übersetzt.