«Neues Coronavirus. So schützen wir uns.»

Zur visuellen Kommunikation des Schweizerischen Bundesamts für Gesundheit (Teil 1)

Seit Beginn der Corona-Pandemie informieren staatliche Behörden mit Infografiken über ihre Massnahmen. Die Schweizer Kampagne zeichnet sich hierbei durch eine robuste Bildsprache und gestalterische Stringenz aus. Das zahlt sich auch in ersten messbaren Erfolgen aus. Ein Blick auf die Kritik an der Bundeskampagne aus Grafikdesignkreisen zeigt aber auch: Nach Corona müssen wir endlich anders über Grafikdesign im Gesundheitswesen sprechen.

Unter Zeitdruck den Ausnahmezustand gestalten

Anfang Februar 2020 lädt Adrian Kammer vier Werbeagenturen zu einem Gespräch ein. Der Leiter der Sektion Gesundheitsinformation und Kampagnen im Schweizerischen Bundesamt für Gesundheit BAG sucht einen Partner für die Kommunikation zum neuartigen Coronavirus. Einen grossen Partner. Denn eine Gesundheitskampagne von diesen Ausmassen braucht Ressourcen. In Frage kommen daher nur die grossen Player, allesamt Mitglieder im Branchenverband Leading Swiss Agencies. Doch drei Agenturen – Jung von Matt/LimmatSaatchi & Saatchi und Wirz – steigen noch vor dem ersten Briefing aus. Übrig bleibt die Zürcher Agentur Rod Kommunikation. Und unter Zeitdruck legt man los. 

Unter der Leitung von David Schärer entwickelt Rod Kommunikation innerhalb einer Woche das visuelle Programm, bereits zehn Tage später hängen schweizweit die ersten Plakate. Täglich wird im BAG evaluiert, wann der nächste Schritt fällig ist – praktisch im Wochenrhythmus werden die Kernbotschaften angepasst. Mit einem Budget von bisher geschätzt CHF 100’000 pro Tag ist dies die grösste Gesundheitskampagne in der Geschichte der Schweiz. Grafikdesign im Ernstfall sozusagen.

Start der Kampagne Ende Februar 2020: Gesundheitstipps auf gelbem Grund (Bild: BAG).

Mit Ampelfarben durch die Krise navigieren

Die Kampagne wird als klassische Kommunikationskampagne in Print und Online geführt: Social-Media-Massnahmen unterstützen die Kampagnenmotive, Clips erklären die Präventionstipps, weitere Plakate werben für Solidarität. Typisch für die offizielle Kommunikation in der Schweiz wird jeweils in den vier Landessprachen plus Englisch kommuniziert. Im Zentrum der Kampagne steht dabei die schrittweise Kommunikation der Präventions- und Schutzmassnahmen des Bundes. Diese Plakate sind im öffentlichen Raum auf Plakatwänden und Aufstellern, als Printanzeigen sowie im Internet omnipräsent und steuern wesentlich den Umgang der Bevölkerung mit der Krise.

Plakataufsteller im Schweizer «Weltformat» im Strassenbild; oben auf dem Bundesplatz Bern, unten vor dem Eingang zum Bundeshaus (31.03. und 14.04.2020)

Als wiederkehrende Headline dient auf den Printprodukten unter der Überschrift «Neues Coronavirus» ein links oben integrierter Reiter mit dem Slogan «So schützen wir uns.» Die Farbpalette nutzt die Ampelfarben Rot-Gelb-Grün in kräftigen Varianten. Der Hintergrund der Plakate ist in der ersten Variante im Februar noch gelb gehalten – mit der Verschärfung der Massnahmen am 05.03.2020 wechselt man zu Rot. Check-Haken in Grün, bzw. Weiss auf Grün weisen auf die Präventionsmassnahmen hin.

Anfang März schaltet die Dringlichkeit von Gelb auf Rot: dasselbe Plakat einmal auf französisch, einmal auf deutsch (Bild: BAG).

Die Piktogramme sind ohne verbindendes Raster, jedoch in proportional gleichmässiger Strichstärke ausgeführt, was sie als Bildfamilie erkennbar macht. Die Entsprechungen zwischen Bildinhalt und Massnahme sind in den ersten Piktogrammen selbsterklärend, lediglich im Piktogramm zur Massnahme «Nur nach telefonischer Anmeldung in Arztpraxis oder Notfallstation» (ein Stethoskop) muss der Text zum Verständnis hinzugezogen werden. Mit dem Hinzufügen der Massnahmen zum Social Distancing («Abstand halten») treten erstmals zwei stilisierte Figuren in der Halbnahen auf – hier benötigt die Aussage auch visuell eine Transferleistung, da der angemahnte Abstand von zwei Metern und der abgebildete Abstand nicht korrespondieren. 

Die armlosen Figuren sind sehr stark stilisiert. Gleichwohl setzen sie sich rasch durch, wie die Aufnahme der Bildsprache in einem Informationsspot der Supermarktkette Denner zeigt.

Videostill aus dem Denner-Clip «Corona-Virus: Verhalten beim Einkaufen» (25.03.2020)

Am 20.03.2020 wird die Massnahme «Bleiben Sie jetzt zuhause.» in einem separaten Motiv auf grauem Grund kommuniziert. Ein Störer in Form eines Absperrbands mit der Aufschrift «STOP CORONA» betont die Besonderheit der Massnahme. Am 29.03.2020 rückt das Piktogramm auch auf dem (Haupt-)Plakat zu den versammelten Massnahmen prominent an die erste Stelle. Das «Hausmotiv» wird zudem an die Schönwetterperiode angepasst und um eine Sonne ergänzt; zu Ostern weist ab 06.04.2020 ein violetter Störer in Form eines Ostereis noch einmal spezifisch darauf hin, auch an den Osterfeiertagen zuhause zu bleiben.

Drei Beispiele für die Variation des «Hausmotivs»: Aussenplakate vom 20.03. und 29.03., aktualisiertes Web-Poster vom 06.04.2020 (Bild: BAG). 

Mit Bausteinen erfolgreich: Wiederholung schafft Wiedererkennung

Der modulare Aufbau der Kampagne ist eine ihrer Stärken. Die wiederholte Nutzung der (freien) Piktogramme auf Webseiten der Behörden, auf Kommunikationsmassnahmen in Supermärkten und anderen Ladengeschäften führt zu einer hohen medialen Durchdringung. (Auf der Website des BAG können die Plakate beispielsweise mit einem eigenen Logo versehen und downgeloaded werden, um die Massnahmen ins eigene Coroporate Design zu integrieren.)

Kundeninformation im Schaufenster der Migros-Filiale im Bahnhof Bern (02.04.2020).
Aufsteller im Eingangsbereich der Migros-Filiale Marktgasse Bern mit Informationen über die Besucherdichte im Supermarkt, unten: Detail (26.03. und 14.04.2020).
Bodenmarkierung in der P&B-Filiale im Bahnhof Bern (02.04.2020).

Wie umfassend und schnell die Piktogramme die öffentliche Wahrnehmung durchdringen, zeigen auch bereits ab Anfang März kursierende Aneignungen und Parodien, wie etwa eine (dann rasch zurückgezogene) parteipolitische Kampagne der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz oder ein im Raum Basel plakatiertes Gegenplakat, das auf das Verbot der Fasnacht reagiert.

Screenshot eines Memes der SP (Bild: Twitter @spschweiz), Anfang März 2020.
Fasnachtsflyer (Bild: Telebasel), Anfang März 2020.

In einer am 30.03.2020 im Auftrag des BAG durchgeführten Studie konnte festgestellt werden: «Fünf der abgefragten Verhaltensregeln sind jeweils bei über 95 Prozent der Bevölkerung voll und ganz bekannt. […] Es zeigen sich dabei keinerlei signifikante Unterscheide zwischen Altersgruppen, Sprachregionen und Bildungsstufen. Die Botschaft ist annähernd umfassend angekommen.» Auch wenn bei einer Kommunikationsmassnahme diesen Ausmasses viele Kräfte zusammenspielen – neben der Kampagne selbst vor allem die Medienberichterstattung, persönliche Gespräche, Nachrichten über Social Media und vieles mehr – darf man doch vermuten: Die Effektivität der Kampagne ist aussergewöhnlich hoch.

Fangen wir endlich an, über die Kriterien erfolgreichen Designs zu sprechen

Die Kampagne ist robust und einfach gestaltet. Sie hat einen hohen Wiedererkennungswert und erreicht die vom Auftraggeber formulierten Ziele. Damit ist sie im rhetorischen Sinne erfolgreich – und ihre auf Wirkung abzielende Gestaltung kann als gelungen gelten. 

Doch es gibt auch Kritik. In einem Facebook-Post kommentiert Niklaus Troxler am 25.03.2020 das Plakat mit den Worten «SWISS GRAPHIC DESIGN 2020. No aesthetics in these days? No comment.» Seine Leser*innen reagieren prompt: «Design aus dem Bunker!» heisst es etwa in der Kommentarspalte, oder ironisch «Immerhin nicht Comic Sans». Eine spezifische gestalterische Kritik (beispielsweise zur Feintypografie oder zur Farbwahl) findet hingegen nicht statt – vielmehr wird das Plakat als Ganzes in Bausch und Bogen abgelehnt. 

Dieser Fehlschluss steht für ein Designverständnis, das glücklicherweise grösstenteils bereits überwunden ist. Schon lange ist sich die Designforschung darüber einig, dass die ästhetische Komponente – also insbesondere das visuelle Wohlgefallen– nur ein Element im Designargument unter vielen ist. Für den Erfolg eines Designs sind andere Faktoren ebenso massgeblich: Sein Informationsgehalt. Seine Zugänglichkeit. Die robuste Kopierbarkeit seiner Botschaft. Die Verständlichkeit der Bildsprache. Der Stil und die Machart eines funktional auf Wirkung abzielenden Informationsplakats kann und sollte nicht mit den ästhetischen Kriterien des Autorenplakats gemessen werden. 

Wenn sich Design im Gesundheitswesen nützlich machen soll, dann geht das nur unter der Prämisse des evidenzbasierten Designs. Design im Gesundheitswesen ist dann gut, wenn es die Ergebnisse erzielt, die es erzielen soll. Es wäre daher wichtig, gerade im gestalterischen Fachdiskurs endlich eine verstärkte Diskussion über die Kriterien gelungener Gestaltung im Gesundheitswesen zu führen. Dies könnte nicht zuletzt auch zu einem verstärkten Bewusstsein über seine Wichtigkeit führen. Denn: Dass drei von vier Agenturen bei einer gesellschaftlich derart wichtigen Aufgabe noch vor dem ersten Briefing abwinken – auch darüber sollte noch diskutiert werden in einer Branche, die sich für gesellschaftlich unverzichtbar hält.

Weiterführende Informationen zur Kampagne: https://www.persoenlich.com/werbung/hoffentlich-gibt-es-kein-corona-fatigue

(Bilder vom Autor, sofern nicht anders vermerkt.)

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Arne Scheuermann

Prof. Dr. Arne Scheuermann is the head of the Institute of Design Research at the Bern University of the Arts (HKB); he is a co-founder of the research group Health Care Communication Design HCCD, and chairman of the Board of Directors of the Swiss Center for Design and Health (SCDH).

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2 Responses

  1. 14/05/2020

    […] «Neues Coronavirus. So schützen wir uns.» Zur visuellen Kommunikation des Schweizerischen Bundesamts für Gesundheit (Teil 1)https://hccd.hypotheses.org/82 […]

  2. 12/10/2020

    […] Im zweiten Teil unserer Serie über die Kommunikationskampagne des BAG fragen wir nach einer Rhetorik der Abgrenzung: Was wird auf eine Werbekampagne folgen, die auf eine Informationskampagne gefolgt ist? (Den ersten Teil finden Sie hier.) […]

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