Wie Design die Arbeit in Krisensituationen verbessern kann

Anfang April 2020 veröffentlichte die Stiftung Patientensicherheit Schweiz einen Leitfaden zur Arbeit unter Krisenbedingungen – als Unterstützung für Mitarbeitende (nicht nur) im Gesundheitswesen. Dieses «Schlüsselbotschaften zu Human Factors beim Arbeiten unter Druck (zum Beispiel in der aktuellen Covid-19 Situation)» betitelte Dokument verweist auch auf Aspekte, die designrelevant sind. Wir sprachen mit Prof. Dr. David Schwappach, dem Leiter der Stiftung Patientensicherheit Schweiz.

(Bild: Patientensicherheit Schweiz)

HCCD: Viele Hinweise und Vorschläge zum «Arbeiten in der Krise» beziehen sich auf die Prozesse und die Kommunikation im Arbeitsteam. Was für eine Rolle kann Design denn da überhaupt spielen?

David Schwappach: Arbeiten unter Druck bedeutet ja «Stress». Stress entsteht durch eine aussergewöhnlich hohe Arbeitsbelastung, anspruchsvolle, zum Teil gefährliche Aufgaben, manchmal in Kombination mit wenig Routine in diesen Aufgaben. Unter Stress machen Menschen dann eher Fehler. Und da spielt Design dann eine wesentliche Rolle: Zum einen kann gutes Design helfen, den Stresslevel zu reduzieren bzw. nicht unnötig zu erhöhen. Lärm ist so ein Beispiel. Warum muss das Aufreissen der Verpackungen von Schutzbekleidungen so laut sein? Wenn es ständig laut ist, steigt der Stress. Gleichzeitig kann Design sehr gut helfen, unter Stress weniger Fehler zu machen. Im Rahmen der Krise müssen Mitarbeitende beispielsweise plötzlich sehr anspruchsvolle Aufgaben erledigen, in denen sie wenig Erfahrung haben. Gut designte Benutzeroberflächen von Geräten, oder auch Gedankenstützen für Abläufe sind da extrem hilfreich. Da sind zum Teil ganz einfache Dinge wie eine Gedankenstütze beim Anziehen der persönlichen Schutzausrüstung, ob man nochmal auf die Toilette sollte? Das An- und Ausziehen ist nämlich extrem aufwändig, so dass die Leute, wenn sie die Schutzkleidung erstmal an haben, nicht mehr auf ihre eigenen körperlichen Bedürfnisse hören und diese dann übergehen. Aber die Arbeit wird dadurch natürlich nicht unbedingt besser, wenn man seine Grundbedürfnisse missachtet.

HCCD: Ist denn jetzt der richtige Zeitpunkt, um über solche Rahmenbedingungen nachzudenken?

David Schwappach: Doch, ich denke schon – gerade! Zum einen gibt es Aspekte, wo Design und Designer*innen jetzt aktiv in der Krise Beiträge leisten können und das ja zum Teil auch tun. Sei es eben zum Beispiel durch gut gestaltete Gedankenstützen, durch Signaletik auf verwirrenden Spitalgeländen etc. Zum anderen aber wirkt doch die Krise eigentlich wie ein Brandbeschleuniger: Viele systemische Probleme im Gesundheitswesen verschärfen sich jetzt, aber sie sind sonst auch vorhanden. Zum Beispiel eben die Themen Licht, Lärm, Unterbrechungen beim Arbeiten, kein Platz. Das sind auch ohne Krise Aspekte, die die Patientenversorgung gefährlich machen und wo Design eine zentrale Perspektive ist. Und, in der Krise sind die Mitarbeitenden oft auf sich allein gestellt, die Dinge zu organisieren, sich schnell und ohne grosse Vernehmlassungsrunden und Planungen Lösungen zu überlegen. Und oftmals führt das zu tollen, kreativen Lösungen, die dann einfach ausprobiert werden. Ich würde mir wünschen, dass wir uns von dieser Herangehensweise, das Einbeziehen der Basis, das Ausprobieren und kreativ sein, ein bisschen erhalten können.

HCCD: Was muss sich zukünftig ändern, damit die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen in ihrer Tätigkeit – auch in Krisen – besser unterstützt werden?

David Schwappach: Ich glaube, was eine sehr spezielle Erfahrung für alle Bürgerinnen und Bürger war, dass es plötzlich sehr plastische und ungefilterte Einblicke in das Gesundheitssystem gab, die sonst unüblich sind. So ist beispielsweise das Thema «Beschaffung» von Material und Arzneimitteln auch ohne Corona ein Dauerthema. Aber jetzt weiss jede und jeder wie eng solche Fragen werden können und wie schnell ein sonst gut ausgestattetes Gesundheitssystem an seine Grenzen kommt. Es gab Fernsehschalten, wo man Mitarbeitenden live zuschauen konnte, wie sie mit Pfadfindermethoden versuchen, elementares Material irgendwo in der Welt aufzutreiben. Ich glaube nicht, dass den meisten Menschen das vor Corona klar war und ich nehme auch wahr, dass sich viele Menschen darüber erschrocken haben. Die Wichtigkeit und auch die Vulnerabilität dieses Systems sind sehr sichtbar geworden. Ich hoffe, dass das eine gute Grundlage ist, um den Fokus auch nach der Krise auf den Bedingungen im Gesundheitssystem zu halten. Ein wesentlicher Punkt ist für mich, genau hinzuschauen, was die Arbeitsanforderungen bei einer Aufgabe sind und dann zu versuchen, diese durch Hilfsmittel, Rahmenbedingungen und auch kulturelle Innovationen zu fördern und zu unterstützen. Das ist etwas, was wir aus der Krise lernen können.

HCCD: Und welche Rolle kann die Stiftung Patientensicherheit Schweiz dabei spielen?

David Schwappach: Wir versuchen vor allem darauf hinzuweisen, dass Patientensicherheit das Ergebnis von systemischen Bedingungen ist. Einfach gesagt: Medizinische Fehler und Gefahren für die Patientensicherheit sind unter unterschiedlichen Bedingungen unterschiedlich wahrscheinlich. Unser Ziel ist es, diese Bedingungen so zu optimieren, dass Gefahren für Patient*innen möglichst gering sind. Und dafür sind die Arbeitsumgebung, das Design und die Kultur der Zusammenarbeit im Gesundheitswesen sehr wichtige Stellschrauben.

(Das Gespräch führte Arne Scheuermann mit David Schwappach per Email.)


Prof Dr. David Schwappach ist seit 2008 wissenschaftlicher Direktor der Schweizerischen Stiftung für Patientensicherheit und Professor für Patientensicherheit am Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) der Universität Bern. David Schwappach promovierte 2001 und habilitierte sich 2006 im Bereich Public Health. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der Patientensicherheit in der Akutversorgung, einschließlich der Patientensicherheit in der klinischen Krebsbehandlung, sowie im Systemdesign und der Umsetzung von Sicherheitsmassnahmen in die klinische Praxis. David Schwappach engagiert sich in der Lehre der Patientensicherheit für verschiedene Zielgruppen. Er fungiert als Gutachter für eine Vielzahl internationaler Zeitschriften und Institutionen und ist Mitglied mehrerer Gremien für Patientensicherheit.

schwappach@patientensicherheit.ch

Forschungsprofil: https://www.researchgate.net/profile/David_Schwappach


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Arne Scheuermann

Prof. Dr. Arne Scheuermann is the head of the Institute of Design Research at the Bern University of the Arts (HKB); he is a co-founder of the research group Health Care Communication Design HCCD, and chairman of the Board of Directors of the Swiss Center for Design and Health (SCDH).

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1 Response

  1. 02/06/2020

    […] fort, wie sie auch David Schwappach (Stiftung Patientensicherheit Schweiz) in einem früheren Blog-Beitrag (04.05.2020) im Gespräch mit Arne Scheuermann geäussert hat unter dem Titel «Wie Design die […]

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