Architektur statt Antibiotika

(Bild: www.karmin.info/patientenzimmer)

Kommentar zum Artikel «Architektur statt Antibiotika»

von Alexa Blum und Jean Odermatt

Ein Forschungsprojekt an der TU Braunschweig zusammen mit Industriepartnern belegt, wie Architektur und Design die Gefahr reduzieren können, dass sich multiresistente Keime in Spitälern vermehren und zu Infektionen führen. Ziel des Projektes war die Planung und Umsetzung eines «Patientenzimmers der Zukunft». Der besondere Fokus lag bei den Themen der Infektionsprävention und Hygiene, dem Komfort der Patient*innen und der Arbeitsplatzqualität der Mitarbeitenden.

Dies ist ein weiteres Forschungsprojekt (siehe unseren Blog-Beitrag «Farbe auf der Intensivstation» vom 15.04.2020), welches der Frage nachgeht, wie man mit gestalterischen Massnahmen zu Gesundungsprozessen beitragen kann. Es setzt die Auseinandersetzung fort, wie sie auch David Schwappach (Stiftung Patientensicherheit Schweiz) in einem früheren Blog-Beitrag (04.05.2020) im Gespräch mit Arne Scheuermann geäussert hat unter dem Titel «Wie Design die Arbeit in Krisensituationen verbessern kann».

Der nachstehende Artikel über das Forschungsprojekt an der TU Braunschweig macht klar, wie auch bisher kaum beachtete Arbeits- und Forschungsfelder einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion von Infektionskrankheiten beitragen können. Damit wird einmal mehr deutlich, wie in der Raumgestaltung von Gesundheitsinstitutionen nicht nur rein funktionale, sondern auch emotionale Qualitäten eine prägende Rolle spielen können. Eine kleine Übersicht über massgebende Studien zu diesem Bereich findet sich im Anhang (1). Dennoch bilden solche Aspekte, welche mittlerweile unter dem Begriff «Health Care Design» auch in Europa Verbreitung gefunden haben, nach wie vor eher eine Nische in der Baubranche.

Und es stellt sich die Frage nach den Gründen. Diese Frage ist umso legitimer, als sich gerade nach COVID-19 die Frage nach der Zukunft gestalterischer Massnahmen im Gesundheitsbereich vordringlicher denn je stellt.

Nach David Schwappach im bereits zitierten Blog-Beitrag akzentuieren sich durch und nach COVID-19 vorab die systemischen Probleme im Gesundheitswesen:

«Viele systemische Probleme im Gesundheitswesen verschärfen sich jetzt, aber sie sind sonst auch vorhanden. Zum Beispiel eben die Themen Licht, Lärm, Unterbrechungen beim Arbeiten, kein Platz.» 

Neue Lösungen sind gefordert und es stellt sich explizit die Frage nach den Implementationschancen von Forschungsergebnissen in der konkreten Planung, Gestaltung und Praxis in Gesundheitsbauten.

Die Fähigkeit, Innovationen zu implementieren, hat sich – angesichts veränderter Wettbewerbsbedingungen und dem wachsenden Trend Gesundheit zu einem Gradmesser für den langfristigen Erfolg von Gesundheitsinstitutionen zu machen – entwickelt. Die hohe Misserfolgsrate von Innovationsprojekten wirft allerdings die Frage auf, warum sich insbesondere Spitäler in ihrer Innovationsfähigkeit unterscheiden (2).

Hierbei ist u. a. der Umstand bemerkenswert, dass geschätzte 75 % aller Innovationen von den Herstellern selbst kommen (Innovatoren und Early Adapters bewegen sich im Bereich zwischen 15 und 25 %).

Für eine erfolgreiche Implementierung von Innovationen ist allerdings die «path dependence» (Pfadabhängigkeit) massgeblich, d. h. die Entwicklungsvergangenheit einer Organisation, eines Produktes, einer Technologie usw. Diese beeinflusst und begrenzt künftige Entwicklungsmöglichkeiten und -vorgehensweisen. Unter solchen Prämissen ist dann nicht mehr jedes beliebig gewünschte Innovationsziel erreichbar.

Das muss im aktuellen und künftigen Spitalbau insofern zu denken geben, als allein in der Schweiz in den nächsten 20 Jahren für über 25 Mia. CHF gebaut werden wird. Planung, Entwicklung und Realisierung dieser Werke liegt in den Händen von Planer*innen und Bauherr*innen.

Die Schweiz tendiert dabei zur Perfektion («Swiss Finish») und nicht zur Innovation. 10 Spitalprojekte auf der Liste der 25 aufwändigsten Spitalbauten der Welt stammen aus der Schweiz (3). Und dennoch ist – wie COVID-19 zeigt – auch das zweitteuerste Gesundheitssystem der Welt nach kurzer Zeit bereits am Anschlag.

Was auch in der Schweiz offensichtlich not tut, sind Institutionen, welche nicht nur im medizinaltechnischen und pharmakologischen Bereich zusammen mit Industriepartnern zukunftsfähige Projekte entwickeln, welche nicht nur nach dem Motto «Mehr vom Bisherigen, Bewährten» funktionieren, sondern auch neue Themen und Lösungen im gestalterischen Bereich entwickeln. Dies gilt insbesondere für jene von David Schwappach erwähnten systemischen Probleme im Gesundheitswesen.

Es ist also eine neue Innovationskultur gefragt. Es liegt auf der Hand, dass die Leitung von Spitälern den Fokus einer Weiterentwicklung ihrer Institutionen nur auf Bereiche legen kann, die sich als Entwicklungsbereiche darstellen und als solche definiert sind. Sie können dabei in der Regel nur auf Angebote reagieren, die sich auf dem Markt anbieten. Eine Spitalleitung selbst wird kaum in der Lage sein, sich aktiv einen Überblick über die Innovationslandschaft zu verschaffen, insbesondere dann, wenn Innovationen nicht mit technischen Lösungen, sondern mit Innovationen im Bereich der Prozesse oder der Umgebungsgestaltung, des Designs, verbunden sind.

Um in diesem Bereich Innovationen aufspüren, einordnen und in ihrer Einsetzbarkeit beurteilen zu können, bedarf es als «Trendscouts» Spezialist*innen, die sich in einem dauerhaften Prozess mit der Frage nach einer optimalen Gestaltung für das Patienten- und Mitarbeiterwohl auseinandersetzen. Sie sind in der Lage, gleichzeitig auf verschiedene innovative Ansätze aufmerksam zu machen und diese, wo sinnvoll, miteinander zu vernetzen.

Durch eine Koordination verschiedenster Innovationen, deren Wirksamkeit bereits wissenschaftlich bestätigt ist, lässt sich die Effizienz neuer Massnahmen wie die Neugestaltung von Patientenzimmern entscheidend verbessern. Als Beispiel sei hier auf zwei Innovationen verwiesen: das oben bereits erwähnte Forschungsprojekt der TU Braunschweig zur Reduktion von Infektionen und die Studie der Bergischen Universität Wuppertal mit der Heliosklinik, die die positive Wirkung von Farbe auf Patient*innen der Intensivstation belegt.

Beide Studien führen zu einer Verbesserung der Situation von Patient*innen und ihrer Gesundheit – beide Studien basieren auf einer räumlichen Intervention, greifen also in die Raumgestaltung ein. Damit stehen bereits zwei Studien zur Verfügung, die Anhaltspunkte für eine wirklich innovative Gestaltung von Patientenzimmern liefern. Zwar ist die eine Studie noch nicht abgeschlossen, das Beispiel zeigt aber gut, dass es nicht sinnvoll ist, nur Teilaspekten nachzugehen, sondern dass Spitäler erst dann eine nachhaltige Innovationskultur entwickeln, wenn sie bewusst verschiedene Innovationen berücksichtigen und in diesem Fall ein Patientenzimmer gestalten, welches die Erkenntnisse verschiedener Studien in sich vereint.

Hierzu benötigen Spitälern jedoch Partner, die die Forschungslandschaft des «Health Care Designs» kennen und gleichzeitig der Komplexität der Fragestellung gerecht werden –Partner, die zugleich im Design, aber auch im Gesundheitswesen zu Hause sind. Da Innovationen im Gesundheitsbau in der Regel immer auch mit konkreten Bauprojekten verbunden sind, sollten Partner deshalb gleichermassen einen Bezug zu Forschung wie zur Praxis besitzen. Dank solcher Bindeglieder kann Theorie tatsächlich zur Praxis werden.

Hier geht’s zum Artikel:
https://www.detail.de/artikel/architektur-statt-antibiotika-35641/

Weiterführender Artikel zur Studie:
www.karmin.info/patientenzimmer


Anhang 

(1)

Einige Literaturhinweise als Übersicht:

Andrade Claudia C., Devlin Ann S. (2014), Stress reduction in the hospital room: Applying Ulrich’s theory of supportive design, Journal of Environmental Psychology, December 2014

Brambilla A., Rebecchi A., Capolongo S. (2019), Evidence Based Hospital Design. A literature review of the recent publications about the EBD impact of built environment on hospital occupants’ and organizational outcomes, Ann Ig 2019; 31: pp. 165-180

Bosch S. J., Cama R., Edelstein E., Malkin J. ( 2012), The  Application of Colour in Health Care Settings

Dahlke H., Little J., Niemann E., Camgoz N., Steadman G., Hill S., Stott L. Colour and Lighting in Hospital Design

Hamilton Kirk D. (2011), What Constitutes Best Practice in Healthcare Design? HERD Volume 4(2): pp. 121-6, Vendome Group, llC

Kobler I., Schwappach D., Patientensicherheit Schweiz, Tink Tank Nr. 2

Medical Futurist (2017), The Finest Examples of Brilliant Healthcare Design

Mogenson Jeppe E. (2017), Textiles and Space: The Experience of Textile Qualities in Hospital Interior Design

Schwappach D. (2014), Patientensicherheit. In: Egger M., Razum O., Editors. Public Health. Sozial- und Präventivmedizin kompakt. 2. Auflage, Berlin: de Gruyter, p. 123-5.

Ulrich R. S., Zimring C., Zhu X., DuBose J., Seo H.B., Choi Y. S. et al. (2008), A Review of the Research Literature on Evidence-Based Design

Ulrich R. S. (2006), Evidence-based health-care architecture. Lancet 368: pp. 38-9.

Ulrich R. S. (1984), View through a window may influence recovery from surgery. Science Apr 27; 224(4647): pp. 420-1.

Wolstenholme D. (2015), The State of the Art of Design in Health: An expert-led review of the extent of the art of design theory and practice in health and social care, Sheffield Hallam University.

Zimring C., Augenbroe G. L., Malone E. B., Sadler B. L. (2008), Implementing healthcare excellence: the vital role of the CEO in evidence-based design. HERD 1(3): pp. 7-21.

Zudem:

Ein launischer Reisebericht durch die Schweizer Spitallandschaft von Thomas Hürlimann, erschienen am 28.04.2019 in der NZZ

(2)

Piening Erk P. (2001), Prozessdynamiken der Implementierung von Innovationen. Wiesbaden, Gabler Verlag/Springer Fachmedien.

(3)

https://www.medinside.ch/de/post/das-sind-die-teuersten-spitalbauten-der-welt

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Jean Odermatt

Prof. Jean Odermatt is sociologist and interior designer. He is a professor emeritus at Bern the University of the Arts (HKB). His research focus is on how interior design can promote the process of recovery.

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