…und es hat Zoom gemacht! Wie die Corona-Pandemie neue Formen der Fernsehunterhaltung erzwingt.
Einer der aus Sicht der Medien- und Kulturwissenschaften wichtigsten Effekte der Covid-19-Pandemie ist die Freilegung und Sichtbarmachung all der Prozesse, die zeigen, dass Kultur ein Resultat komplexer gemeinschaftlicher, also sozialer Prozesse ist. Dies zeigt sich zum einen im Grossen, wenn etwa erst einmal kollektive Orientierungsmuster und eine gemeinsame Sprache für dieses weltumspannende Ereignis (wieder-)gefunden werden müssen. Nicht umsonst wurde in den ersten Wochen des europäischen Lockdowns unentwegt über Vorläufer, Ursachen, Folgen und Coping-Strategien für dieses globale, nun: pan-demische, Ereignis gesucht. Nicht zuletzt ist auch dieser Blog, «Learning from Corona», ein Versuch, Sars-Cov-2 ein Profil und ein Vokabular zu geben, das zur historischen Einordnung der Pandemie beiträgt.
Aber auch die Kulturproduktion selbst wurde dort, wo sie nicht ganz zum Erliegen gekommen ist, umgestellt. Am deutlichsten zeigt sich dies an der Populärkultur und hier insbesondere an den audiovisuellen Medien. Man muss hier zwischen den Formaten unterscheiden. Während einmalige Produktionen, etwa Kinofilme, sowohl in ihrer Produktion wie auch in ihrer Distribution überwiegend ausgesetzt und verschoben wurden, wurden vielfach serielle Formate, vor allem solche mit einer täglichen, wöchentlichen und manchmal auch monatlichen Publikationskadenz, unter veränderten Vorzeichen fortgesetzt. Dies zeigt sich insbesondere an klassischen Unterhaltungsformaten wie den Late Night – und Kabarettshows.
So wird seit einigen Monaten ein Grossteil amerikanischer Late Night Shows aus den Privaträumen der jeweiligen Gastgeber*innen heraus gesendet. Dies gilt beispielsweise für die – mittlerweile entsprechend umbenannte Sendung «Stephen Colbert at Home», hier ein Clip der Sendung vom 25. Juni 2020.
Aber auch «Last Week Tonight» mit John Oliver oder Trevor Noahs «The Daily Show» und viele andere folgen seit geraumer Zeit diesem Vorbild. Gleiches findet sich auch im deutschsprachigen Raum. So wurde die deutsche Kabarettsendung «Die Anstalt» am 24. März 2020 komplett über Videostreams zusammengestellt. Auffällig ist hier, dass es zumindest in jüngeren Folgen insofern den Versuch einer Normalisierung gab, dass die beiden Gastgeber Max Uthoff und Claus von Wagner zwar mit einem Rumpfteam, aber weiterhin ohne Publikum im Studio filmten, während Gäste weiterhin via Zoom, der in der Pandemie allgegenwärtig gewordenen Videokommunikationsplattform, zugeschaltet wurden.
Nicht nur diese, auf Live-Publikum ausgerichteten und hochsegmentierten Shows, sondern auch Erzählformate wie Sitcoms greifen mitunter auf das neue audiovisuelle Stilmittel der Zoomsitzung zurück – so etwa die Gerichtsserie «All Rise», das für eine Corona-Sondersendung wiederbelebte «Parks & Recreation» oder auch die im Game Development angesiedelte Sendung «Mythic Quest – Raven’s Banquet», die mit einer Quarantäne-Sondersendung Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte (Hier der Trailer zu dieser Sendung).
Welche (vorläufigen) Schlüsse lassen sich aus dieser erzwungenen Anpassung der Medienformate an das ‹Home Recording› ziehen?
- Zum einen führt die neue Formgebung mittels Zoom, Skype oder der Handykamera (im Format 16/18/21:9) zur Auflösung der Grenzen zwischen privater und öffentlicher Sphäre, zwischen Schauspieler*in und Charakter und zwischen privatem Raum und Filmset/Studio. Zwar gibt es hier seitens der Schauspieler*innen Eindämmungsversuche, etwa, wenn Räume mit besonders neutralen Hintergründen (weisse Wände etc.) gesucht werden. Es gibt aber auch Strategien der Einbindung dieser Räume in die filmische Erzählung. Stephen Colbert wechselt in seiner Garage einen Fahrradreifen, der megalomanische Spielentwicklerstar Ian Grimm (Rob McElhenney) schaltet sich in«Mythic Quest» im Whirlpool zur Arbeitssitzung, während seine Hauptentwicklerin in ihrer kleinen Wohnung an der Einsamkeit zu zerbrechen droht. Besonders gut können hier auch negative Aspekte einer ‹Zoom-Kultur›, etwa die «Zoom Fatigue», formuliert und dargestellt werden.
Zu beachten ist hier: auch diese Form der Darstellung ist inszeniert, das heisst, auch wenn der Ort der Aufnahme die Privaträume der jeweiligen Darsteller*innen sind, handelt es sich um Arrangements, die entsprechend der Vorgaben eines Drehbuchs gestaltet wurden. Die vereinsamende Programmiererin sitzt im Dunkeln, während sie gleichzeitig von ihrem Chef einen grossen, freizügigen Garten präsentiert bekommt. Auf diese Weise löst sich zwar der Privatraum zu einem gewissen Grad in der Fiktion auf, jedoch nur, so weit es der/die reale Inhaber*in dieses Privatraums zulässt.
Zugleich werden auch soziale Grenzen zunächst vordergründig nivelliert: jeder Konferenz-Teilnehmendehat im Prinzip gleiche Rechte, jeder Teilschirm hat die gleichen Masse (sofern die Software nicht so eingestellt ist, dass der/die gerade Sprechende automatisiert in Grossaufnahme erscheint). Unterschiede werden hier erst neu definiert, oftmals etwa durch die zur Schau gestellte technische Kompetenz der jeweiligen Charaktere (etwa, wenn gerade ältere Teilnehmende zunächst unbeholfen mit dem neuen Medium umgehen).
- Zweitens lässt sich konstatieren, dass sich durch ein sich änderndes Dispositiv auch die Art des Erzählens ändert. Wurde unter dem Dispositiv zunächst nach Michel Foucault der institutionalisierte (durch Machtbeziehungen präformierte) Rahmen verstanden, innerhalb dessen gesellschaftliche Kommunikation stattfindet, wird damit vor allem im Rahmen der Filmwissenschaften mittlerweile ganz abstrakt das topische und technische Arrangement der Filmproduktion und -konsumption bezeichnet. Malte Hagener, Professor für Medienwissenschaften in Marburg, betont, dass Film generell neue technische Entwicklungen aufgreife und diese ästhetisch integriere. Dies sei auch hier der Fall, zumal der/die Zuschauende mittlerweile durch die tiefgehende Medialisierung der Arbeits- und Alltagswelten an eine «das Hintereinander und Übereinander vieler Fenster and diese Ästhetik gewöhnt» sei. Der Splitscreen entwickelt sich hier von einer Form der Exzeptionalität (im Actionfilm werden konfligierende Handlungsstränge gegeneinander positioniert und zugleich der Zwang des linearen Erzählens aufgehoben) zu einer Form der vereinigenden Gleichförmigkeit (alle Beteiligten einer Erzählung sind simultan mit derselben Kommunikationstechnik befasst). Der Splitscreen wird so genauso zum Sinnbild der tiefgehenden digitalen Vernetzung moderner Gesellschaften, wie es Hans J. Wulff für den Film Wall Street (1986) attestiert hat. Die Darstellung der Erzählung im Rahmen der Zoom-Ästhetik verstärkt noch einmal den Bezug zu den Alltagserfahrungen der Zuschauenden – auch hier findet also eine Auflösung klarer Grenzen zwischen Privatraum und Öffentlichkeit statt, Zuschauende und Darsteller*innen rücken näher zusammen, die Handlung wird noch empathischer erfahrbar. Dies wird noch verstärkt, indem die Kameraframes die Darsteller*innen überwiegend statisch in frontaler Ansicht zeigen – es entsteht der Eindruck einer direkten Ansprache der Zuschauenden: Die vierte Wand wird so zwar nicht durchbrochen, aber dennoch semipermeabel gemacht.
Zugleich wird auch mit diesen «Rahmenbedingungen gespielt» – etwa in «Mythic Quest», wenn im Finale der Folge ein gewaltiges, den Einzelbildschirm überspannendes, mechanisches Puzzlespiel durchgeführt wird, oder die technischen Probleme solcher Verbindungen spielerisch in das Narrativ eingebunden werden. Der Splitscreen wird hier zur technologischen Ausdrucksform sozialer Distanz und identitärer Disruptionen und zugleich ihrer Überwindung. Sie sind zugleich Ausdruck einer Trennung, aber auch des Versuches der Aufrechterhaltung von Kommunikation. Die technische Konstruktion einer solchen Filmproduktion, soviel wird aus Interviews klar, stellt sich dabei genau so komplex dar, wie im klassischen Studio, zusätzlich müssen hier noch Quarantäne- und Hygienebedingungen beachtet werden, die dazu führen, dass die Aufnahme so heruntergebrochen werden muss, dass auch die Darsteller*innen sie technisch beherrschen.
Im Rahmen von Talkshows kommt hinzu, dass die Zuschauenden in den Studios vor Ort wegfallen. Damit fehlt ein wichtiger Teil der Choreographie der Sendungen: Kameraschwenks zum Publikum fehlen genauso wie auch die im Hintergrund zu hörenden Beifallsbekundungen, Lacher und das Klatschen. Die Gastgeber*innen wirken, egal ob mit der Rumpfbesetzung im Studio oder aus ihren Wohnzimmern filmend, entwurzelt, ‹displaced›, und zugleich auch überfordert mit der Aufgabe, ohne das Feedback des Publikums die unsichtbaren Massen an den Empfängergeräten unterhalten zu müssen. Die Orte selbst scheinen ebenfalls zu «Nicht-Orten» (Marc Augé) transformiert: Ohne Zuschauende, (zu Hause) mit neutralem Hintergrund, nur dem Moderator/der Moderatorin im Mittelpunkt, wirken sie wie Orte bar jeder Geschichte, Relation und Identität, kommunikativ einseitig, ja verwahrlost.
- Schliesslich wird in den Fortsetzungen der popkulturellen Medienproduktion unter Pandemie-Bedingungen deutlich, dass sich dieser Industriekomplex durch einen starken strukturellen und ökonomischen Zwang auszeichnet: Sendeplätze müssen gefüllt werden, damit keine Lücken im Fluss des Tagesprogramms entstehen. Ursache dieses Drucks der immer fortwährenden Produktion ist ein kapitalistisches Verständnis von Entertainment und Kultur, nach dem (ganz im Sinne Niklas Luhmanns) in einer sich selbst reproduzierenden Schleife über Medien gesprochen werden muss, damit diese nicht an sozialer und ökonomischer Relevanz verlieren: etwas, das nicht mehr Thema ist, bringt auch weniger Einnahmen. Im Kontrast zu Kinoproduktion, wo die Arbeitsteilung und die Abhängigkeit von grossen Teams ein Niveau erreicht hat, das ein singuläres Arbeiten aus der Quarantäne heraus verunmöglicht, scheint es, dass solche kleineren seriellen Formate noch ein Mass an infrastruktureller Anpassungsfähigkeit in der Produktion bewahrt haben, die diese generell erlaubt.
Überhaupt scheint es, dass, je kleiner der Produktionsaufwand ist, umso eher die Produktion von Popkultur auch aus dem Wohnzimmer heraus organisiert werden kann. Nicht umsonst haben unzählige Einzelkünstler*innen der Popmusik aber auch klassischer Musik (so beispielhaft Michael Stipe, Die Ärzte, Das Lumpenpack, Thao & The Get Down Stay Down, Igor Levit und Daniel Hope) die Distribution von Videos über Streamingkanäle für sich entdeckt, wobei auch hier Zoomästhetik und eine gewisse DIY-Attitüde künstlerübergreifendes Merkmal dieser ‹Corona-Kultur› darstellen.
Es bleibt abzuwarten, ob und welchen dauerhaften Einfluss die Pandemie auf die weitere Entwicklung in der Produktion von Popkultur haben wird, bzw. ob sich diese Art des Erzählens Verfestigung und zu einem festen Teil der popkulturellen Repertoires wird. Es zeigt sich allerdings schon jetzt, dass das Erzählen aus der Quarantäne heraus auch kreativ macht – Not macht erfinderisch, wie das Sprichwort sagt.