«Das Coronavirus ist noch da.»
Zur visuellen Kommunikation des Schweizerischen Bundesamts für Gesundheit BAG (Teil 2)
Im zweiten Teil unserer Serie über die Kommunikationskampagne des BAG fragen wir nach einer Rhetorik der Abgrenzung: Was wird auf eine Werbekampagne folgen, die auf eine Informationskampagne gefolgt ist? (Den ersten Teil finden Sie hier.)
Die breite Wirkung eines Erfolgsmodells
Die Ende Februar 2020 lancierte Informationskampagne von Rod Kommunikation für das Schweizerische Bundesamt für Gesundheit BAG ist ein Erfolg: Unzählige Parodien im Schweizer Raum dokumentieren die Bekanntheit der Bildsprache im Alltag, etliche Sichtungen dieser Schweizer Motive in Deutschland deuten darauf hin, dass sie robuster (und damit in diesem Kontext: besser) kommunizieren als andere Kampagnen.
Gleichzeitig wurde die Kampagne zum Anlass genommen, in der Öffentlichkeit über ihr Grafikdesign zu sprechen. So gibt der Artdirector der Kampagne, Ondrej Maczko, im Magazin des Zürcher Tages-Anzeigersanekdotisch zu Bericht, unter welchen ungewöhnlichen Bedingungen die Kampagne entstand, und zieht das Fazit: «Wenn ich mir als Artdirector die Plakate anschaue, muss ich sagen: Das ist keine Optik, bei der ich denke: Wow, hänge ich mir an die Wand! Aber das war auch nicht das Ziel. Die Bildsprache brauchte eine gewisse Autorität, ohne Panik zu verbreiten.» (Das Magazin #23, 06.06.2020, S. 4)
Nach anfänglichen Unsicherheiten im Umgang mit der Krise scheint die Kampagne massgeblich zu einem im internationalen Vergleich bisher glimpflichen Verlauf der Pandemie in der Schweiz beizutragen. Eine vom BAG in Auftrag gegebene Folgestudie («Coronavirus: Wirkungsanalyse der Präventionsarbeit des BAG Juli 2020») bewertet die Kampagne jedenfalls positiv, wenn es heisst: «Obwohl sich seit Anfang März 2020 vieles beruhigte, ist die Bekanntheit der Informationskampagnen und das Wissen über die Verhaltens- und Hygieneregeln unverändert hoch.»
Neben einiger berechtigter und viel unberechtigter Kritik am Krisenmanagement des Schweizer Bundesrats lässt sich also festhalten: Die Kampagne hat bisher wahrscheinlich fast alles richtig gemacht. Doch wie geht es weiter?
Veränderte Gefahrenlage
Seit Lockerung der Massnahmen im Frühsommer 2020 verändert sich der Tonfall der Kampagne: Neben die eindringlichen Warnungen zu den Erst- und Sofortmassnahmen treten nun ausführliche Erklärungen – beispielsweise zum Contact-Tracing oder zum Verhalten am Arbeitsplatz. Passend zur bereits etablierten Farbwelt wird für die normalisierte Version nun ein kräftiges Hellblau genutzt, das sich von den Warnfarben der Ampel-Logik abhebt und gleichwohl hohe Aufmerksamkeit generiert.
Doch die Massnahmen rund um das Coronavirus stehen nach den ersten Lockerungen zunehmend nicht mehr im Fokus der Öffentlichkeit. Im Juni stellen David Schärer von Rod Kommunikation und Adrian Kammer vom BAG diese besondere Herausforderung im Interview mit Der Bund wie folgt dar: «Schärer: […] Nun beginnt der Kampf gegen die Sorglosigkeit. Vielleicht braucht es jetzt eine neue schräge Idee. […] Für uns ist die Situation noch nicht abgeschlossen. Wir fliegen auf Sicht.» (16.06.2020, S. 9)
Im Spätsommer 2020 stellt sich die Lage noch einmal anders dar: Die neuen durch Lockerungen entstandenen Ansteckungsrisiken einerseits, wie etwa Partys, kulturelle Veranstaltungen, grössere private Zusammenkünfte oder Urlaubsheimkehrer*innen, und die Anpassung der Massnahmen andererseits, etwa durch die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr, sollen spezifisch adressiert werden. Einerseits wird hierauf mit Variationen bestehender Infografiken reagiert, wie etwa in untenstehendem Beispiel einer Bodenbeklebung in Bern.
Andererseits reagieren das BAG und seine Agentur auf die veränderte Situation mit einer komplett neuen Reminderkampagne, die auf die bestehenden Massnahmen und die neuartigen spezifischen Ansteckungsherde hinweist. In 25 Einzelmotiven werden zielgerichtete Aussagen zu Gefahrenherden oder Massnahmen gemacht.
Es fällt auf, dass die Kampagne nun den Look des reinen Informationsdesigns abstreift und zu einer weniger eigenständigen – vielleicht sogar etwas beliebigen? – Bildsprache findet: Die Headline im obenstehenden Beispiel «Viren sind wie Stadtmenschen: immer da, wo was los ist. Halten Sie Abstand.» ist fast formatfüllend auf einem randabfallenden Foto im Hintergrund platziert. Diese Bildsprache ist typisch für Werbeplakate. Der Slogan in Form eines Störers mit dem Text «Das Coronavirus ist noch da.» bildet mit der wiedererkennbaren Farb-Typografie-Kombination den Link zur Informationskampagne vom Frühling, ebenso der weisse Absenderbalken mit dem Logotype der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Weniger gut nachvollziehbar an der Serie ist, dass die abstrahierte Darstellung des Virus im fröhlich-harmlosen Hellgrün daherkommt: Wollte man hier bewusst entschärfen und den Krisenmodus verlassen? Im Konzert der bisherigen Plakate irritiert diese Farbentscheidung. Auch fällt auf, dass sich die Kampagne durch die Motivwahl und die bewusste Abkehr vom Infodesign der ersten Monate nun gestalterisch in die Nähe anderer, regionaler oder kantonaler Kampagnen begibt. Als Beispiel unter vielen sei hier die Kampagne «Mit Abstand …» des Sportamts der Stadt Bern genannt.
Eine Stärke der Kampagne ist der Zuschnitt auf sehr spezifische Situationen und Zielgruppen: Die neuen Werbeplakate werden zielgenau an den entsprechenden Stellen geschaltet: So begegnet einem das obenstehende Beispiel «Viren sind wie Stadtmenschen» direkt an der Fussgängerüberführung am Berner Hauptbahnhof auf dem Weg von der Postbushaltestelle zur Partymeile der Stadt, sodass sich das Motiv präzise an junge und junggebliebene Zielgruppen richten kann. Angesichts der Motive, die sich an Urlaubsrückkehrer*innen richten, stellt sich jedoch die Frage, warum man bei dieser Gelegenheit auf Versionen in anderen Sprachen (Albanisch, Kroatisch etc.) verzichtet hat.
Was kommt da auf uns zu?
Durch die Öffnung hin zu einer eher werblichen Bildsprache wird der «Baukasten» der Kampagne erheblich erweitert. Man verfügt nun über eine ausgeweitete Klaviatur der visuellen Möglichkeiten. Daher wird es in den kommenden Wochen umso interessanter sein, zu beobachten, wie sich die Steuerungsmechanismen der Informationsvermittlung im Reaktionsfeld zwischen Panik und Krisen-Müdigkeit entwickeln werden, sobald es wieder zu einer Verschärfung der Massnahmen kommen sollte. Wie – sollte es zu einer zweiten Welle kommen – kann man die Lockerheit einer werblichen Ansprache wieder in die rhetorische Verbindlichkeit des Informationsdesigns zurückverwandeln? Auch verändert sich derzeit der gesamtgesellschaftliche Kontext. Mit zunehmender «Massnahmen-Müdigkeit» treten nun verstärkt kontrafaktische Behauptungen etwa auf Demonstrationen von «Corona-Leugnern» in der Öffentlichkeit auf, denen man zukünftig sicherlich verstärkt begegnen wird.
Im Interview mit Der Bund im Juni antwortet David Schärer von Rod Kommunikation auf die Frage, ob man während der Krise auch Fehler gemacht habe, auf jeden Fall mit einer visuell-rhetorischen Überlegung: «Schärer: Wir hätten unsere Farbpalette erweitern müssen. Wir hätten eine Phase Orange gebraucht. Von gelb nach rot in vier Tagen war etwas anspruchsvoll.» Es bleibt abzuwarten, ob der Weg von Gelb über Rot und Violett/Pink zu Blau und schliesslich bunten Fotografien auch rückwärts funktionieren wird, wenn es so weit ist. Wenn es nach dem bunten Remindern auf einmal wieder tiefrot heissen sollte: «Bleiben Sie zuhause.», wird das Orange als Zwischenstufe also eventuell noch zum Einsatz kommen.
Weiterführende Informationen zur Kampagne:
Wirkungsanalyse im Auftrag des BAG: https://sotomo.ch/site/coronavirus-wirkungsanalyse-der-praeventionsarbeit-des-bag-juli-2020/
(Bildrechte beim Autor, Ausnahmen sind vermerkt.)