Superheld*innen im Spital?

Seit Beginn der Pandemie kursieren in den sozialen Medien (Abb. 1), in Plakatkampagnen internationaler Werbeagenturen (Abb. 2) und nicht zuletzt auch in der Kunst (Abb. 3) Darstellungen, die Vertreter*innen des Gesundheitspersonals als Superheld*innen zeigen. Durch diese Bilder soll den sogenannten «Alltagshelden» Dank gezollt werden, für ihren «Kampf» gegen den unsichtbaren «Feind» Covid-19. Bereits im Blog-Beitrag des Literaturwissenschaftlers Thomas Nehrlich wurde über das neue Heldenkriterium der Corona-Zeit reflektiert. Die bildhafte Heroisierung der Gesundheitsberufe soll auch im nachfolgenden Interview mit der Pflegeexpertin Prof. Dr. Sabine Hahn hinterfragt werden. 

Abb. 1: Poster, das derzeit auch in den sozialen Medien geteilt wird (Bildquelle: https://digitalgrafis.com/saleoffshirt/superhero-nurse-poster/, abgerufen 11. Mai 2020) 
Abb. 2: Plakatserie von Lidija Milovanovic (McCann Belgrad), die im Rahmen eines Projekts von McCann Europe entstanden ist (Bildquelle: https://musebycl.io/health/mccann-belgrade-made-simply-perfect-tribute-doctors-superheroes-today, abgerufen 11. Mai 2020) 
Abb. 3: Schenkung des britischen Streetart-Künstlers Banksy an die Universitätsklinik von Southampton (GB) mit dem Titel «Game Changer» (Bildquelle: https://musebycl.io/health/mccann-belgrade-made-simply-perfect-tribute-doctors-superheroes-today, abgerufen 11. Mai 2020) 

HCCD: Frau Hahn, der britische Streetart-Künstler Banksy hat vor Kurzem der Universitätsklinik von Southampton (GB) ein Bild geschenkt, auf dem ein kleiner Junge mit einer als Pflegefachperson verkleideten Puppe spielt, die nebst Schutzmaske auch einen Superhelden-Umhang trägt. Was löst das Bild bei Ihnen aus: Stolz oder Skepsis? 

Sabine Hahn: Das Bild löst bei mir gemischte Gefühle aus, da die Pflegefachperson als Spielzeug dargestellt wird. Ein Junge spielt mit uns, und es scheint nur eine Frage der Zeit, bis wir zusammen mit Superman und Spiderman wieder im Papierkorb landen. Zudem ist es doch auch beschämend, dass erst in dieser Pandemie erkannt wird, wie systemrelevant, da absolut überlebenswichtig, die Arbeit der Pflegefachpersonen ist. Es wird hier ausgeblendet, dass wir permanent mit körperlich und/oder psychisch erkrankten Personen arbeiten. Als einzige Berufsgruppe sind wir andauernd direkt in Kontakt und vor Ort, um erkrankte oder beeinträchtigte Personen und ihre Familien zu betreuen. Pflegefachpersonen leisten auch in der Alters- und Langzeitpflege sehr wichtige Arbeit, um die Lebensqualität von hoch betagten Menschen zu erhalten und zu fördern. Zudem können dank der spitalexternen Pflege erkrankte oder beeinträchtigte Menschen im eigenen Zuhause leben. Die Arbeit in der Alters- und Langzeitpflege ist ebenfalls sehr herausfordernd, auch wenn sie von der Gesellschaft bei weitem nicht so hoch eingeschätzt wird wie die Akut- oder Intensivpflege. Pflege ist kein Nullachtfünfzehn-Job, das macht mich stolz. Pflegefachpersonen benötigen Mut und Gelassenheit, um einer bedrohlichen Erkrankung ins Antlitz zu sehen, die eigene Gefährdung in Kauf zu nehmen (leider sind mangels Schutzmaterialien ja auch bei der Covid-19 Pandemie einige Pflegefachpersonen tödlich erkrankt), Leiden auszuhalten, dem Tod zu begegnen und Verantwortung zu tragen. Die professionelle Pflege benötigt neben Fachwissen auch Empathie, fundierte Reflexionsfähigkeit und Menschlichkeit. Eine ideale Kombination für emotional und kognitiv intelligente Menschen, die eine sinnhafte und anspruchsvolle Tätigkeit leisten wollen und sich dabei auch steuernd einbringen können. Daher macht mich der Superheldenstatus auch stolz, denn dies sind auch Eigenschaften von Superheld*innen. Ich selber empfinde die Arbeit als Pflegefachperson zudem als einen der schönsten und sinnhaftesten Berufe, da er das ganze Sein umfasst. 

Abb. 4: Rekrutierungskampagne des US-amerikanischen Roten Kreuzes während des Ersten Weltkriegs (Bild: Howard Chandler Christy, 1919, Bildquelle: https://docsouth.unc.edu/wwi/41898/100.html, abgerufen 11. Mai 2020)

HCCD: Die Geschichte hat gezeigt, dass die Abbildung des Heldentums oftmals mehr mit Verklärung oder gar Propaganda zu tun hat als mit der Lebenswelt der Betroffenen (Abb. 4). Ist es dieses Mal anders? 

Sabine Hahn: Wenn es um den Mut, die Gelassenheit, das Fachwissen, die Empathie und Reflexionsfähigkeit sowie die Menschlichkeit geht, die im Pflegeberuf notwendig sind, und wenn der Begriff Heldentum etwas mit diesen Eigenschaften und Kompetenzen zu tun hat, dann hat das schon etwas mit der Arbeitswelt der Pflegefachperson zu tun. Oder anders gesagt, Pflege ist definitiv nichts für Feiglinge.  

HCCD: Superhelden wie Batman oder Iron Man sind auch dank ihrer Ausrüstungen gegen ihre Widersacher gewappnet. In den Spitälern in Italien, Amerika aber auch in der Schweiz fehlte es hingegen an Schutzkleidung für das Gesundheitspersonal. Hinkt also der Superhelden-Vergleich? 

Sabine Hahn: Das ist eine sehr spannende Frage. So betrachtet auf jeden Fall. Nie würde man Superhelden ohne Ausrüstung losschicken. Man könnte sich sogar die Frage stellen, ob die Gesellschaft und die Politik ein schlechtes Gewissen gegenüber all den systemrelevanten (meist Frauen-)Berufen haben. Pflege bedeutet auch wenig Anerkennung, anspruchsvolle Arbeitszeiten im 24h-Rhythmus, hohe körperliche Belastung, wenig Personal- und Finanzressourcen etc. etc., und das ist weit herum bekannt. Das schlechte Gewissen, so könnte man auch denken, wird mit dem Superheldenstatus und viel Applaus wieder beruhigt.  

HCCD: Trägt die derzeitige Heroisierung des Gesundheitspersonals tatsächlich auch zu einer Verbesserung seiner Arbeitssituation bei? 

Sabine Hahn: Die grosse Katastrophe ist in der Schweiz zum Glück nicht eingetroffen, der Applaus ist verebbt, und schon werden Stimmen laut, die behaupten, es gebe demnach den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen gar nicht. Solche Leute haben keine Ahnung, was im Gesundheitswesen geleistet wird, und wie die Arbeitsbedingungen abseits der attraktiven Akut-, Intensiv- oder Notfallbereiche sind. In allen Gesundheitsberufen herrscht ein Mangel, weil der Nachwuchs fehlt, weil viele Personen wegen der hohen körperlichen und mentalen Belastung aus den Berufen aussteigen und weil somit die Berufsgruppen tendenziell überaltert sind. Viele werden in den nächsten Jahren pensioniert. Gerade in der Schweiz könnten wir ohne im Ausland ausgebildete Fachpersonen wohl unser Gesundheitswesen und die Langzeitpflege nicht aufrechterhalten. Die derzeitige Heroisierung ist ein Hype, der wohl keine Früchte im Hinblick auf Verbesserung der Arbeitsbedingungen tragen wird. Was aber zu Veränderung führen wird, wird von den Gesundheitsfachpersonen selbst ausgehen: Sie sind es, die nun ihre Systemrelevanz erkannt haben und weiter für verbesserte Arbeitsbedingungen einstehen werden. Dies könnte durchaus auch bald auf Kosten der Gesundheit der Patient*innen geschehen, denn Applaus alleine reicht nicht aus, um die Patientensicherheit zu garantieren. Dazu sind genügend Personalressourcen und gute Arbeits- und Ausbildungsbedingungen notwendig. Heroisierung öffnet also auch die Augen für Handlungsbedarf – bei den Pflegefachpersonen selber, und durch deren proaktiveres Auftreten in der Öffentlichkeit hoffentlich vermehrt auch in Politik und Gesellschaft.  


Prof. Dr. Sabine Hahn ist Pflegefachfrau psychiatrische Pflege und Pflegeexpertin. Nach über 15 Jahren Arbeit in der direkten Pflege wechselte sie in die Ausbildung und Forschung und leitet seit 2006 die angewandte Forschung & Entwicklung Pflege und seit 2012 den Fachbereich Pflege an der Berner Fachhochschule BFH, Schweiz. Als Pflegewissenschaftlerin forscht sie u. a. zum Fachkräftemangel in den Gesundheitsberufen und zur Qualität der Pflege im Gesundheitswesen. Die Erkenntnisse ihrer Arbeiten wurden in zahlreichen Publikationen veröffentlicht und fliessen in Weiterbildungen sowie in die konkrete Praxisentwicklung ein. Sabine Hahn ist Verwaltungsrätin der spitalexternen Pflege (Spitex) Bern und des Pflegeheims logisplus AG, in Köniz bei Bern. Zudem ist sie Mitbegründerin der Arbeitsgruppe HCCD. 


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Minou Afzali

Prof. Dr. des. Minou Afzali is the deputy head of the Institute of Design Research at the Bern University of the Arts (HKB) and a co-leader of the research group Health Care Communication Design HCCD.

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